Spaniens Jugend kehrt dem Staat den Rücken

Spaniens Jugend kehrt Staat
Spaniens Jugend kehrt Staat(c) REUTERS (ANDREA COMAS)
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In Spanien spielen derzeit hunderttausende junge Leute ohne Beschäftigung mit dem Gedanken, ihrem Land den Rücken zu kehren. Viele Akademiker drängen nach Deutschland: "Hier gibt es nur Paella und Strand."

Spaniens junge Akademiker – viele von ihnen demonstrierten wochenlang auf den Straßen gegen die nationale Jobkatastrophe und fehlende Zukunftschancen – flüchten nun ins Ausland. Zehntausende hoch qualifizierte Hochschulabgänger, darunter unzählige Ingenieure, wollen in Deutschland und anderen europäischen Ländern ihr Glück versuchen. Das Land, das von einer tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise erschüttert wird, droht seine junge Generation zu verlieren ... während auf Deutschland und andere nördliche Länder eine neue Welle spanischer Gastarbeiter zurollt.

„In Deutschland lebt man besser“, glaubt Rafael, frisch gebackener Maschinenbau-Ingenieur. „In Spanien braucht man Jahre, um Arbeit zu finden“, fügt der junge Chemie-Ingenieur Pedro hinzu. Beide sind entschlossen, ihrem Land möglichst schnell „Adiós“ zu sagen. In Spanien sitzen die jungen Akademiker auf der Straße, rund 44Prozent der jungen Spanier unter 25 sind arbeitslos. Deutschland sucht derweil händeringend nach gut ausgebildeten Ingenieuren. Warum also nicht nach „Alemania“ auswandern, um dort einen Job zu suchen?

In Spanien spielen derzeit hunderttausende junge Leute ohne Beschäftigung mit dem Gedanken, ihrem Land den Rücken zu kehren. Sie gehören zu den mehr als 1,5 Millionen spanischen Arbeitslosen unter 30 Jahren. Und sie haben, wenn sie Deutsch können und die entsprechende Ausbildung mitbringen, gute Chancen, bei den nördlichen Nachbarn einen Vertrag zu bekommen. In Deutschland etwa werden derzeit vor allem Ingenieure, Ärzte, Pflegepersonal, Spanischlehrer und Fachkräfte für das Hotel- und Gaststättengewerbe gesucht.

Große Nachfrage nach Sprachkursen. „Das Interesse an deutschen Sprachkursen explodiert geradezu“, berichten die Goethe-Kulturinstitute in Spanien. Überall im Land können sich auch private Sprachakademien vor Anfragen kaum noch retten. Kursangebote werden erweitert, neue Lehrkräfte eingestellt. Deutsch zu lernen ist in Spanien derzeit Mode.

Nachdem sogar bei der deutschen Botschaft in Madrid die Telefonleitungen heiß liefen, sahen sich die Diplomaten nun gezwungen, auf ihrer Internetseite den Hinweis zu veröffentlichen: „Die Botschaft veranstaltet keine Deutschkurse.“

Auch die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der deutschen Arbeitsagentur und die spanischen Arbeitsämter werden mit Anfragen überhäuft. Damit niemand mit falschen Vorstellungen die Koffer packt, organisierte die ZAV in den spanischen Metropolen Madrid und Barcelona inzwischen Informationsveranstaltungen – weitere sollen folgen.

Bei den bisherigen Veranstaltungen waren die Säle brechend voll, meist mit jungen Ingenieuren zwischen 25 und 30 Jahren, von denen viele ihre Bewerbung gleichmitbrachten.

Arbeitsamt wirbt aktiv. Ausgelöst hat den Boom die Auslandskampagne des deutschen Arbeitsamtes „In Deutschland arbeiten“, die während des Spanien-Besuches von Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang des Jahres lanciert wurde. Unterfüttert von Berichten, wonach in Deutschland zehntausende Ingenieure fehlen, höhere Löhne locken und sich der Fachkräftemangel auch in anderen Branchen eher noch verschärfen wird.

Spanischen Arbeitskräften wurde in der EU bisher eher wenig Mobilität bescheinigt, was teilweise auch mit Sprachproblemen zu tun hat. Das ändert sich jetzt aber rapid: Die Zahl der spanischen Arbeitsemigranten habe sich in den letzten Jahren verdreifacht, sagt Marisa Carmona von der EU-Beschäftigungsvermittlung Eures. Mehr als 100.000 Spanier kehrten seit 2007 ihrer Heimat bereits den Rücken – und es werden immer mehr.

Nicht alle jungen Spanier gehen freilich leichten Herzens: „Das ist nicht gerade die Lösung, die mir gefällt“, sagt Oscar, ein 34-jährige Elektroingenieur aus Barcelona bedauernd. „Aber das ist der einzige Ausweg, der uns bleibt.“

Die Resignation über die triste Lage in der Heimat treibt Spaniens junge Arbeitslosengeneration in die Ferne. „Wir sind kein Industrieland“, bilanziert Oscars 28-jähriger Kollege. „Hier leben wir nur von der Paella und vom Strand.“

44 Prozent der spanischen Jugendlichen haben keinen Job und keine Perspektive. Vor allem besser Ausgebildete und Akademiker suchen ihr Glück jetzt zunehmend anderswo und wandern aus.

Deutschland ist eines der begehrtesten Zielländer für junge Spanier. Die Deutschen werben Spanier in jüngster Zeit aktiv an: Vor allem gut ausgebildete Techniker werden von deutschen Unternehmen gesucht.

Deutschkurse erleben in Spanien eine nie gekannte Konjunktur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)

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