Als den Slowenen keine Zeit für Angst blieb

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Slowenien gedenkt seines Unabhängigkeitskrieges und seiner Staatswerdung vor 20 Jahren. Doch die Feiern in dem einstigen Aufsteigerland Südosteuropas sind überschattet von Apathie und Politikverdrossenheit.

Ljubljana. „Eigentlich waren wir alle Zivilisten. Wir wurden von heute auf morgen mobilisiert und bekamen eine Waffe in die Hand gedrückt“, erinnert sich Mitja Jankovic auf einer Café-Terrasse in Ljubljana (Laibach) an den Sommer, als der Krieg in seinen Heimatort Brezice und ins Herz Europas kam. Zur Angst vor dem Tod blieb dem blonden Buchhalter keine Zeit. „Wir bekamen den Befehl, auf keinen Fall als Erste zu schießen, keine Dummheiten zu machen, und die Genfer Kriegsrechtskonvention in die Hand gedrückt“, erzählt der heutige Sekretär des Veteranen-Verbands ZVVS. Gedanken an Desertion habe keiner gehegt, versichert der 45-Jährige heute: „Ich dachte nur, hoffentlich passiert den Eltern nichts. Wir fühlten uns so, als würden wir das eigene Haus verteidigen.“

Eine 20 über dem stilisierten Gipfel des „Triglav“ kündet auf den Festplakaten in der Hauptstadt von der dramatischen Staatsgeburt vor zwei Jahrzehnten. Am 25. Juni 1991 hatte Slowenien seine Unabhängigkeit vom auseinanderstrebenden Jugoslawien erklärt. Ein Tag später gab Belgrad der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) den Befehl, die Staatsgrenzen zu schützen. Am 27. Juni rollten auch in Brezice die ersten JNA-Panzer auf das Gebiet der abtrünnigen Republik – und trafen auf harten Widerstand.

Mit dem auf der Insel Brioni ausgehandelten Waffenstillstand endeten schon nach zehn Tagen die Kämpfe. Ljubljana sagte die Aussetzung der Unabhängigkeit um drei Monate, Belgrad den Abzug der JNA zu. 18 slowenische Soldaten und 44 JNA-Angehörige kamen im Unabhängigkeitskrieg ums Leben.

„Unabhängigkeit als Notausgang“

Die JNA-Führung habe die Stimmung falsch eingeschätzt, erinnert sich Sloweniens erster Wirtschaftsminister Joze Mencinger an die glimpflich abgelaufene Sezession: „Die JNA erwartete, dass die Slowenen sie mit wehenden Fahnen erwarten würden, aber sie wurde gestoppt.“ Serbien habe keine großen Einwände gegen Sloweniens Abschied gehabt. Er sei damals kein begeisterter Anhänger der Unabhängigkeit gewesen, räumt der 70-Jährige offen ein: „Ich sah die Selbstständigkeit eher als Notausgang, denn für uns war in den Plänen für ein Großserbien kein Platz.“

Heute hat das Leben in Ljubljana nur wenig mit dem entbehrungsreichen Alltag in den ex-jugoslawischen Hauptstädten wie Belgrad, Prishtina oder Skopje gemein. Für Slowenien wurde die Unabhängigkeit zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Erst seit die Krise 2008 das Land traf, geht es bergab.

Die Regierung müht sich, das ausgeuferte Defizit mit harten Sparprogrammen einzudämmen. Der soziale Unfriede nimmt zu. Die Koalition versuche, mit dem Staatsjubiläum von ihren Problemen abzulenken, während sich Oppositionschef Janez Jansa als damaliger Verteidigungsminister als eigentlicher Staatsgründer zu profilieren trachte, berichtet Uros Skerl, Journalist der Zeitung „Dnevnik“. Feststimmung komme keine auf: „Das Land ist in totaler Depression.“ Nach der Belgrader Fremdherrschaft sehne sich dennoch kein Slowene zurück.

Jugoslawien sei tot, doch die kulturelle „Jugosphähre“ lebe, erzählt der Parlamentsvorsitzende Pavel Gantar: Der Jugo-Pop erlebe in den früheren Republiken genauso eine neue Blüte wie die grenzüberschreitenden Privat- und Handelskontakte.

Manchmal seien Slowenen nur zu ehrgeizig, wollten zu viel – und zu schnell, sinniert er über die Sinnkrise des ins Straucheln geratenen Erfolgsstaates. Die großen Ziele wie EU-Beitritt und Euro-Einführung seien erreicht, nun herrsche „ein gewisses Vakuum“. Oft werde die Lage aber auch schlechter gezeichnet, als sie sei: „Vielleicht bräuchten wir wieder etwas vom Geist der 90er-Jahre. Als wir alle zusammenstanden und es nicht so wichtig war, ob einer rechts ist oder links.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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