Bange Nacht vor dem Abschied aus dem gemeinsamen Staat

(c) ORF (Friedrich Orter)
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In Slowenien war der Krieg rasch vorbei, Kroatien spielte mit dem Nationalismus. Am 25.Juni 1991 proklamierten Kroatien und die Republik Slowenien ihre Unabhängigkeit.

Es war ein warmer Frühsommerabend, der die Menschen auf die Plätze Ljubljanas (Laibach) trieb. Auf der geräumigen Terrasse nahe dem Stadtzentrum der Hauptstadt Sloweniens fand eine Party statt. „Abschied von Jugoslawien“ stand auf der Einladungskarte. „Am Abend des 24.Juni 1991 treffen wir uns zum letzten Mal als Bürger des gemeinsamen Staates Jugoslawien.“

Etwa 40 Gäste aus allen Republiken Jugoslawiens hatten sich bei Miriam und Ervin Hladnik-Milharčič eingefunden. Es waren Freunde und Kollegen der Erziehungswissenschaftlerin und des Journalisten beim Magazin „Mladina“, die sich bei Wein etwas betreten unterhielten. Denn über ihnen schwebte die bange Frage, was am nächsten Tag passieren würde. Dann nämlich würde Staatspräsident Milan Kučan die Unabhängigkeit der Republik Slowenien ausrufen. In Zagreb würde zur gleichen Zeit der kroatische Präsident Franjo Tudjman die Unabhängigkeit Kroatiens proklamieren.

In der slowenischen Partei hatten Mitte der 1980er Reformer die Oberhand gewonnen. Die Journalisten der Wochenzeitung „Mladina“ hatten versucht, mit Ironie die Grenzen der Liberalisierung auszutesten. Wenn manche Parteifunktionäre die Privilegien der Nomenklatura lauthals abschaffen wollten, sie insgeheim jedoch wahrnahmen, boten sie natürlich Angriffsziele. Doch seit 1989 begann man umzudenken. Die Zeit der fröhlichen Demokratisierung des Systems wurde durch negative Entwicklungen überschattet. Der neue serbische Parteichef Slobodan Milošević sperrte sich gegen eine demokratische Öffnung.

Heimlich Armee aufgebaut

Auf dem Parteitag des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens im Jänner 1990 forderten die Slowenen Wirtschaftsreformen und das Ende der Repression im Kosovo. Milošević ließ alle Anträge abschmettern. Daraufhin zogen Slowenen und kurz darauf auch die Delegierten Kroatiens aus dem Saal aus. Der Bund der Kommunisten wurde aufgelöst. Der Parteikongress symbolisierte das emotionale Ende Jugoslawiens.

Die bange Frage, wie würde also die im titoistischen Geist erzogene Generalität auf die Unabhängigkeitserklärung reagieren, überschattete die Zusammenkunft der Freunde auf der Terrasse in Ljubljana. Die Jugoslawische Volksarmee hatte angekündigt, bei Ausrufung der Unabhängigkeit die Grenzsicherung Sloweniens nach Italien und nach Österreich selbst zu übernehmen. Slowenien war aber vorbereitet. Einer fehlte nämlich auf der Party in Ljubljana, der vorher immer dabei gewesen war: Janez Janša, designierter Verteidigungsminister des Landes. Der als Pazifist auftretende Militärexperte hatte seit einem Jahr heimlich eine Armee aufgebaut. Die Jugoslawische Volksarmee würde in Slowenien auf Widerstand stoßen. Das war sicher.

Das Problem Nationalismus

Bekannte und Freunde in der kroatischen Hauptstadt Zagreb wie Žarko Puhovski, der Philosoph, wie Nenad Popovič, der Verleger, oder Slobodan Šnajer, der Regisseur, und andere demokratische Intellektuelle waren höchst besorgt. Für sie war Slowenien in Bezug auf die Demokratisierung des Systems weiter als Kroatien. „Wir hier in Kroatien werden uns nicht nur mit der Armee, sondern auch mit dem Nationalismus herumschlagen müssen“, erklärten sie.

Anders als in Slowenien, wo der Ex-Kommunist Milan Kučan zum Präsidenten gewählt worden war und die Kontinuität der Reform verkörperte, spielte der neue, bei den ersten Mehrparteien-Wahlen im April 1990 gewählte Präsident Kroatiens, Franjo Tudjman, mit dem Nationalismus. In Jugoslawien war die Republik Kroatien als Staat der Kroaten und Serben definiert. Das unabhängige Kroatien sollte nach dem Willen Tudjmans dagegen ein katholisch geprägter Nationalstaat sein. Mit der Erklärung der Unabhängigkeit blieb den Serben in Kroatien nur noch der Status einer Minderheit.

Darin sahen die Intellektuellen eine große Gefahr. Die serbische Minderheit radikalisierte sich und war schon unter den Einfluss der Extremisten geraten. Diese Einschätzung konnte ich nur bestätigen und erzählte meinen kroatischen Freunden über einen gemeinsamen Besuch mit Ervin in Knin im vorhergehenden März. „Wenn Kroatien die Unabhängigkeit ausruft, werden wir, der Zusammenschluss der serbischen Gemeinden in Kroatien, unsererseits die Unabhängigkeit von Kroatien ausrufen“, hatte uns Milan Babič, der serbische Nationalistenführer, erklärt. Das war die entscheidende Botschaft. Babič drohte mit Krieg in Kroatien.

Nach dem 25.Juni blieb es in Kroatien zunächst ruhig. Die Jugoslawische Volksarmee versuchte aber in Slowenien sogleich, die Grenzsicherung zu übernehmen. Sie stieß jedoch zu ihrer Überraschung am 27.Juni auf heftigen Widerstand slowenischer Streitkräfte. Ich fuhr hinter einer Panzerkolonne aus dem kroatischen Karlovac, die noch vor Erreichen der Grenze mit einem kroatischen Fuhrunternehmer in Konflikt geriet. Dieser hatte in einem spontanen Akt seinen neuen Mercedes-Lastwagen quer auf die Fahrbahn gestellt, um die Panzer am Weiterfahren zu hindern. Der Lastwagen wurde zerstört.

Schüsse in Kolseks Hauptquartier

Am fünften Tag des Krieges wollten Ervin und ich den Oberkommandierenden der Jugoslawischen Volksarmee Region Nord, General Kolsek, in seinem Hauptquartier in Zagreb sprechen. Kolsek war ein Altpartisan und damit Gegner der Unabhängigkeit. Vor dem Hauptquartier angekommen, reagierten die Wachen hektisch. Schüsse waren im Gebäude zu hören. Das Interview war gestorben und Kolsek abgesetzt. Sein Nachfolger wurde ein serbischer General.

Damals wussten wir nicht, dass wir einen historischen Akt erlebt hatten. Mit der Absetzung Kolseks übernahmen die Serben die Macht in der Armee und drängten die alten Partisanen zur Seite. Die Serben verständigten sich dann mit der slowenischen Führung. Der Krieg in Slowenien wurde wenige Tage später offiziell beendet.

Zur Person

Erich Rathfelder (*1947) ist seit Anfang der 90er Südosteuropa- Korrespondent der „Presse“. Er hat Jugoslawiens Zerfall und die Kriege auf dem Balkan mitverfolgt. Rathfelder hat etliche Bücher verfasst, zuletzt „Kosovo – Geschichte eines Konflikts“ (edition suhrkamp).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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