„Sie hatten mehr Waffen, wir hatten stärkere Herzen“

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Der slowenische Ex-Premier Peterle vermisst heute den Mut zur Veränderung, der vor 20 Jahren Slowenien die Unabhängigkeit brachte.

Die Presse: Die Fotos von vor 20 Jahren zeigen Sie mit einem sehr angespannten Gesicht. Wie erlebten Sie damals den Tag der Unabhängigkeit?

Lojze Peterle: Wir standen recht allein auf dem Platz der Republik. Es waren keine Staatsdelegationen anwesend, nur einige Freunde aus Kärnten, Italien und Ungarn. Die Welt wartete, was geschehen würde. Mitten im Herzen Europas kam es zum Krieg.

Hatten Sie damit gerechnet?

Wir waren vorbereitet. Wir hatten schon vor der Unabhängigkeitserklärung Informationen über Truppenbewegungen der Jugoslawischen Armee erhalten.

Hatten Sie den Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung mit dem Westen abgestimmt?

Uns besuchten viele ausländische Politiker, die uns ermahnten, realistisch zu bleiben. Ich traf in Washington US-Jugoslawien-Berater Lawrence Eagelburger und fragte ihn, was er uns empfehlen würde. Er sagte mir: Schafft Fakten – dann werden wir unsere Position überdenken. Wir überraschten die Welt nicht nur mit der Unabhängigkeitserklärung, sondern auch mit unserer Armee: Nur wenige hatten mit unserem Sieg gerechnet.

Was waren die Gründe für den Erfolg gegen den scheinbar übermächtigen Gegner?

Sie hatten mehr Waffen, aber wir hatten stärkere Herzen. Aber der wichtigste Grund war, dass das Oppositionsbündnis Demos die ersten freien Wahlen 1990 mit der Forderung nach Unabhängigkeit und einem demokratischen slowenischen Staat gewonnen hatte.

Wie bereitete sich Ihre Regierung auf die angestrebte Unabhängigkeit vor?

Die Jugoslawische Armee begann nach unserem Wahlsieg, ihr Waffenarsenal aus Slowenien zu schaffen, was wir als Kriegsankündigung verstanden. Mit Hilfe der Territorialverteidigung und der Polizei schufen wir eigene Armee-Strukturen, die zwar die alten Namen trugen, aber neu ausgerichtet waren. Es war eine angespannte Lage, aber wir waren entschlossen.

Der Krieg währte kurz, Belgrad fand sich mit der Unabhängigkeit ab. Was war der Grund?

Ich hatte Belgrad vorab mehrmals besucht. Es gab zwei Konzepte eines Großserbiens, eines umfasste auch Slowenien. Zum Glück hatten wir im Gegensatz zu Kroatien keine serbische Minderheit. Und ein Toter in Slowenien hatte noch einen anderen Effekt als die zehntausenden Toten in den späteren Kriegen. Jugoslawien und Slowenien waren im Fokus der Welt. Als Glück erwies es sich, dass die andere Seite uns völlig unterschätzte.

Wie schaffte es Slowenien, wirtschaftlich so schnell auf die Beine zu kommen?

Unsere südlichen Märkte waren praktisch tot, daher empfahlen wir den Betrieben die Umorientierung nach Westen. Wir schufen neue Rahmenbedingungen, führten marktwirtschaftliche Prinzipien ein. Anfangs kam es zu Massenentlassungen. Aber schon nach zwei, drei Jahren beschäftigten unsere Unternehmen mehr Mitarbeiter.

Slowenien galt lange als der EU-Musterknabe. Doch es scheint, als ob das Land nun nicht nur in eine Wirtschafts-, sondern auch in eine Orientierungskrise gerutscht ist.

Vor zwanzig Jahren hatten wir Visionen, Strategien, das Vertrauen der Leute – und den Mut zu Veränderungen. Nun fehlt der damalige Geist. In Deutschland konnte man sich rechtzeitig auf Reformen einigen. Und Slowenien, so scheint es, ist dazu nicht in der Lage. Seit drei Jahren beschränkt sich die Regierung auf Ankündigungen.

Auf einen Blick

Lojze Peterle wurde am 5. Juli 1948 in Čužnja vas geboren. Er war Parteichef der Christlichen Partei Sloweniens und wurde 1990 Ministerpräsident. Ein Jahr später rief er die Unabhängigkeit des Landes von Jugoslawien aus. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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