Hermann Nitsch und der heilige Franz

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Der österreichische Künstler stattete Messiaens St. François d'Assise für die Bayerische Staatsoper aus und stieß damit nicht nur auf Gegenliebe beim Publikum. Noch-GMD Kent Nagano wurde hingegen bejubelt.

Nicht viel eint Münchens Operintendanten Nikolaus Bachler mit seinem Musikchef, Kent Nagano, den er 2013 durch Kirill Petrenko ablösen lässt. Doch Olivier Messiaens „Saint François d'Assise“ gilt beiden als „wichtigste Oper seit 1945“. Für Nagano war dieses Werk Sprungbrett zur Weltkarriere, assistierte er doch schon Seiji Ozawa bei der Pariser Uraufführung und dirigierte selbst die englische und niederländische Erstaufführung, sowie Mitte der 1990er-Jahre die Wiederaufnahme der Sellars-Produktion bei den Salzburger Festspielen.

Für die Münchner Erstaufführung engagierte man nun Hermann Nitsch, von dem man offenkundig eine bilderreiche Umsetzung des Sujets erwartete, nicht die übliche „Inszenierung“. Im Programmheft heißt es ausdrücklich: „Szenische Konzeption und Gestaltung, Bühne und Kostüme“.

Das Kreuz als omnipräsentes Symbol.
Nitschs assoziationsreiche Bildersprache setzt das Kreuz in den Mittelpunkt – als Schicksal, aber auch als stets präsentes Bild der schließlich in Erfüllung gehenden Hoffnung. Vom ersten Moment an findet sich das Symbol – meist mit darauf gefesseltem Christus – auf der Bühne, zuweilen in vielfältigen Projektionen, von Frank Gassner nach Nitschs Intentionen virtuos umgesetzt.

Nitsch sieht die sich ständig überlagernden, von Vogelstimmen angeregten musikalischen Schichten als Inspirationsquelle für seine nicht selten zu überbordender Opulenz neigende Bildwelt. Allein die Streifenkompositionen der sonst durch klassische Einfachkeit charakterisierten, bodenlangen Kleider (Kostümassistentin: Hanna Hollmann) sind eine Welt für sich.

Orgien-Mysterien-Bilder. Immer wieder werden in das karge Bühnenrund Bilder aus Nitschs Orgien-Mysterien-Theater eingeblendet. Gleich den verschiedenen Schichten der Musik erscheinen Vogelschwingen in stetig wechselnden Farben. Die Blumen- und Vogelwelt wird quasi sprechblasenartig zusammengefasst, zwischendurch werden Formeln projiziert. Selbst ein sich keck in den Mittelpunkt drängendes Pfauenrad fehlt nicht. Ebenso nicht Schüttbilder: zuerst ein in Blutrot gehaltenes Bühnenbild – wie man es schon von Nitschs Illustration der Wiener Staatsopernproduktion von Massenets „Hérodiade“ kennt – dann ein von gelben Farbtönen dominiertes, das den grellen Finaleffekt ankündigt. Denn zum Schluss, nach den vom Chor artikulierten Worten: „Aus Schmerz, aus Schwachheit und aus Schande erweckt er Kraft, Herrlichkeit und Freude!!!“, werden, verstärkt durch gleißende Scheinwerferlichter, Bühne und Zuschauerraum in intensivstes Licht getaucht, um betont plakativ die Verklärung, den Übergang in ein anderes Leben zu symbolisieren.

Gewiss hätte Nitschs nicht ohne Redundanzen auskommender Farbrausch mehr Wirkung entfacht, auch mehr Verständnis hervorgerufen, wäre er von einer Personenregie begleitet gewesen, die sich an Messiaens bis ins Detail überlegtes Libretto gehalten hätte. Den Komponisten beschäftigte die Konzeption seiner Vierstunden-Oper – Summe seiner theologischen Überzeugung wie seiner musikalischen Meisterschaft – über vier Jahre, ebenso lang wie die Orchestrierung.

In Nitschs szenischer Vision aber wirkten Auf- und Abgänge vielfach zufällig, blieb eine Charakterisierung der einzelnen Personen ziemlich aus, wurden Positionen und Bilderfolgen zu oft wiederholt. Damit wurde der Fokus von den Intentionen der Musik mehrfach abgelenkt.

Naganos musikalische Dynamik.
Dabei hätte man sich für die Realisierung der komplexen Partitur niemand Kompetenteren wünschen können als Kent Nagano. Er setzte diesen anspruchsvollen Messiaen mit einer Souveränität und Selbstverständlichkeit in Tempo und Dynamik um, die ihresgleichen sucht. Auch das Orchester der Bayerischen Staatsoper agierte mit einer von ihm nicht immer zu hörenden Klangsinnlichkeit und Präzision. Nicht ganz auf diesem Niveau zeigten sich die von Sören Eckhoff gleichwohl gut vorbereiteten Choristen. Von ihnen hätte man sich mehr Wortdeutlichkeit und Transparenz gewünscht.

Abstriche waren auch bei den Solisten zu machen. Einzig Christine Schäfer als berührende Gestalterin des Engels bot eine perfekte Leistung. Paul Gays Saint François mangelte es an Eigenpersönlichkeit wie an der entsprechenden Kraft, um die Partie stets auf demselben vokalen Niveau zu bestreiten. Und mehr als guten Durchschnitt boten auch die übrigen Protagonisten nicht, darunter John Daszak als Le Lépreux, Nikolay Borchev als Frère Léon und Ulrich Reß als Frère Élie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2011)

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