Am Samstag ist es so weit: Der ölreiche Süden wird unabhängig. In der neuen Hauptstadt Juba werden die letzten Vorbereitungen getroffen. Viele Südsudanesen kommen heim, um den historischen Tag mitzufeiern.
So ganz sitzt sie noch nicht, die neue Hymne: Auf dem staubigen Platz in Südsudans Hauptstadt Juba wird sie von Schülern eifrig geübt, Beamte singen sie während der Mittagspause. Bis Samstag, wenn der Südsudan als jüngster Staat der Welt offiziell unabhängig wird, muss es perfekt sein. Der Text „Gott, wir loben und ehren deinen Segen für Südsudan, Land des Überflusses“ ist auf Englisch. Und das ist anstrengend: Englisch ist zwar wie Arabisch eine der Amtssprachen Südsudans, aber vor allem Englisch spricht hier kaum jemand.
„Für die jüngste Nation der Welt haben wir ein ziemlich altmodisches Lied“, meint Hiba. Die junge südsudanesische Mitarbeiterin einer internationalen Organisation bevorzugt eigentlich Hip-Hop und Reggae: „Aber ich werde mich schon an die träge Musik gewöhnen. Jedenfalls werde ich es am 9. Juli auswendig können.“ Das sollte kein Problem sein: Die Melodie existiert schon als Handyklingelton, Radiosender spielen sie vor und nach den Nachrichten.
In Juba herrscht kurz vor dem großen Tag fiebrige Geschäftigkeit. Täglich werden die Straßen voller mit Besuchern. Nicht nur geladene Ausländer, auch viele Südsudanesen kommen heim, um den historischen Tag mitzufeiern. Der kleine Flughafen kann die Vielzahl an Flugzeugen kaum bewältigen.
Schon seit Wochen sind alle Hotels für hohe Staatsgäste ausgebucht, die Zimmerpreise haben sich verdoppelt. Journalisten müssen mit ihren Zelten ein Stück Garten bei Hilfswerken oder Bekannten suchen. Ab 7. Juli ist der Flughafen für normale Fluggäste geschlossen. Nur noch Staatsgäste reisen dann an.
Nur nicht provozieren
Rechtzeitig zum Fest ist eine riesige Ladung der neuen Fahnen angekommen, „Made in China“. Die paar asphaltierten Straßen und sogar die vielen Sandwege werden täglich gefegt, Gebäude gestrichen. Am Mausoleum des 2005 verstorbenen Freiheitskämpfers John Garang werden überdachte Tribünen für die Feier errichtet: Hier soll Präsident Salva Kiir das neue Grundgesetz unterschreiben, es soll Militärparaden und traditionelle Tänze geben.
Eine fröhliche Feier war geplant, die Scheidung von Nord- und Südsudan sollte unter Jahrzehnte des Blutvergießens einen Schlussstrich ziehen. Als im Jänner der Süden mit überwältigender Mehrheit in einer Volksabstimmung die Unabhängigkeit beschloss, herrschte Euphorie.
Kein halbes Jahr später haben sich dunkle Wolken zusammengebraut: Die Streitthemen Grenzverlauf, Öl und Schuldenlast bleiben ungelöst, Kämpfe um die Grenzregion Abyei und in der zum Norden gehörenden Provinz Südkordofan haben Angst vor einem neuen Krieg genährt. In Juba halten sich die Offiziellen bedeckt. Man will alles vermeiden, was der Norden als Provokation auffassen könnte. Die Unabhängigkeit geht vor.
Täglich sieht man mehr Sicherheitskräfte auf Jubas Straßen. Immer wieder durchsucht die Armee Häuser nach Waffen. Die Regierung will kein Risiko eingehen. Freudensalven jenseits des offiziellen 21-Schüsse-Saluts sind strengstens verboten.
Um die Stadt zu verschönern, haben die Behörden hunderte Marktbuden abgerissen. Dadurch sank das Warenangebot, während der Kundenandrang an den verbliebenen Marktständen stieg und parallel dazu die Preise. Die Lebenshaltungskosten erhöhen sich täglich. Erst blockierte die Gewalt an der Grenze zum Norden den innersudanesischen Handel, vor allem mit Treibstoff. Im Süden, wo drei Viertel der Ölquellen liegen, fuhren kaum noch Busse oder Mopedtaxis. Auf dem Schwarzmarkt kostete ein Liter Benzin oder Diesel fast zehn Euro. Mittlerweile kommt Benzin aus Uganda und Kenia.
Verdoppelte Preise
„Vorige Woche bekam ich für drei sudanesische Pfund zwanzig Tomaten, jetzt nur noch die Hälfte“, nörgelt die Hausfrau Aggyedha. Sieben kleine Bananen kosten sechs Pfund, etwa zwei Euro. „Das liegt am Sprit“, erklärt die ugandische Marktfrau. „Die Bananen kommen aus meinem Land, und das ist weit weg. Ich würde sie ja gern billiger verkaufen.“ Aggyedha glaubt ihr kein Wort.
„Es gibt so viele Probleme“, sagt Godfrey, ein junger Anwalt. Die Verfassung sei problematisch, die Gewalt aus dem Norden beängstigend, das Leben sehr teuer geworden: „Aber was auch geschieht, wir feiern am Samstag unsere Freiheit. Am nächsten Tag sehen wir weiter.“
Auf einen Blick
Nord- und Südsudan liegen mit Unterbrechungen seit der Unabhängigkeit des Landes (1956) miteinander im Konflikt. Der letzte Bürgerkrieg begann 1983 und dauerte bis zum „Umfassenden Friedensabkommen“ im Jahr 2005. Darin wurde dem Südsudan ein Referendum zur Sezession zugestanden. Dieses fand am 9. Jänner 2011 statt, mehr als 98 Prozent der Südsudanesen votierten für die Abspaltung. Diese tritt am kommenden Samstag in Kraft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2011)