Südsudan: Das harte Aufschlagen in der Realität

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Im seit Samstag jüngsten Staat der Welt mehren sich Zweifel, ob die Zukunft so rosig wird wie erhofft. In den Straßen der Hauptstadt Juba fahren zwar teure Geländewagen, die Menschen leben allerdings in Armut.

Mary Buli ist erschöpft, und das schon in der Früh. Zwei Tage fast ununterbrochenen Feierns fordern eben ihren Tribut. Doch auch die Müdigkeit kann ihre Begeisterung nicht dämpfen: „Wir fangen ein neues Kapitel unserer Geschichte an! Und wir haben Gott um eine glückliche Zukunft und Weisheit für unsere Führer gebeten“, erzählt die Frau nach dem Sonntagsgottesdienst in der Sankt-Joseph-Kirche von Juba, der neuen Hauptstadt des neuen, unabhängigen Südsudan. Eine Unabhängigkeit, die gerade einmal einen Tag alt ist.

Die Feier fing für Mary schon Freitagabend an, als sie mit Freunden singend und tanzend durch die Straßen zog: „Ich konnte gar nicht aufhören zu jubeln, es gab so viel Glücksgefühl in mir“, erzählt sie. Tränen befeuchten ihre dunkelbraunen Augen: „Als gestern unsere neue Fahne hochgezogen wurde, habe ich geweint vor Freude über unsere Freiheit und geweint über den schmerzhaften langen Weg dorthin.“

Viele Kirchgänger haben Ringe unter den Augen. Die Straßen von Juba sind übersät von papierenen Fahnen, überall liegen leere Bierflaschen und Dosen. „Die Straßen waren für die Feiern so schön sauber gemacht. Ich hoffe, dass sie auch ohne hohe Besucher wieder gefegt werden“, sagt Mary.

Chaotische Feiern

Im Schatten einer Mauer trinkt der junge Anwalt Godfrey Lado seinen heißen süßen Tee. „Ich hoffe, dass das Chaos von Samstag nicht ein Beispiel dafür sein wird, wie unsere Regierung in Zukunft funktioniert. Das war ein Musterbeispiel mangelnder Kommunikation zwischen den Ministerien.“ Er spielt auf den akuten Mangel an Sitzgelegenheiten für die vielen ausländischen Gäste an. Einheimische Parlamentarier und Soldaten mussten ihre Plätze abgeben, aus Ministerien wurden in letzter Minute noch Stühle geholt. „Das Außenministerium muss doch gewusst haben wie viele Besuchern es geladen hat“, wundert er sich.

Seit mehr als fünfzig Jahren gab es mit Unterbrechungen Krieg zwischen Nord- und Südsudan. Allein zwischen 1983 und 2004 kamen zwei Millionen Menschen ums Leben. Das Friedensabkommen von 2005 führte schließlich am Samstag zur Unabhängigkeit für den Süden.

Für diesen bricht nach dem Fest die harte Realität an. Die Zweifel an den Fähigkeiten der Regierung von Präsident Salva Kiir wachsen. Unzufriedene Mitkämpfer von einst zogen wieder mit ihren Milizen in den Busch. Bei Kämpfen zwischen Aufständischen und Armee sind heuer schon etwa 2000 Menschen umgekommen, zehntausende flohen.

Um die Gewalt in den Griff zu bekommen nimmt Kiir immer wieder Kriegsherren und ihre Milizen in die Armee auf. Militärs bekommen für hiesige Begriffe ein gutes Gehalt. Und so fließt die Hälfte des Budgets in die Armee. Mit umgerechnet 50Mio. Euro haben die USA die Demobilisierung unterstützt. Gehofft wurde, dass 90.000 Mann ihre Uniform gegen zivile Kleidung eintauschen. Aber nur 12.000 nahmen das Angebot an.

Mit dem Friedensabkommen 2005 wurde der Süden schon autonom. Die Regierung, seit vorigem Jahr auch demokratisch gewählt, hat aber korruptionsbedingt eine äußerst schlechte Reputation aufgebaut. In Juba fahren bereits Dutzende „Hummer“, jene teuren, Benzin verschlingenden Geländewagen, herum, die sich die neue Obrigkeit gönnt, während der größte Teil der Bevölkerung in dem extrem unterentwickelten Land in großer Armut lebt. Es mangelt an Schulen und vor allem an Lehrern, ein Gesundheitssystem ist quasi nicht vorhanden.

„Die Eigentümer dieser Autos haben beste Beziehungen zu den Behörden“, sagt Peter Adwok. Der hohe Funktionär der Regierungspartei SPLM schätzt die Zukunft düster ein: „Die Partei hat sich gewandelt: Von der Befreiungspolitik im Krieg zur Machtpolitik.“

„Regierung auf die Finger hauen“

Die winzige Opposition und kritische Gruppen in der Gesellschaft machen sich Sorgen um die Zukunft. Vor allem haben sie große Zweifel an der neuen Verfassung. Der Südsudan ist offiziell ein föderaler Staat, aber die Macht ist in Juba zentralisiert. Vergebens versuchten Kritiker, die Regierung zu Änderungen zu bewegen.

Peter Adwok, einer der Ideologen der SPLM, der im Krieg ein Bein verloren hat, kann die Unzufriedenheit verstehen: „Dem Südsudan ist nicht mit einem System gedient, in dem die ganze Macht bei einem Präsidenten liegt. Wir brauchen ein parlamentarisches System, in dem die Volksvertreter der Regierung auf die Finger hauen können, wenn es nötig ist.“

Auf einen Blick

Der Südsudan spaltete sich am Samstag offiziell vom Norden ab. Vorangegangen ist ein 21 Jahre langer Bürgerkrieg mit mehr als zwei Millionen Toten. Im Friedensvertrag von 2005 erhielt der Süden, wo die meisten Ölquellen des alten Sudan lagen, die Möglichkeit zur Sezession. Dafür sprachen sich bei einem Referendum im Jänner mehr als 98 Prozent der Südsudanesen aus. Der Norden hat den neuen Staat anerkannt, es gibt aber weiter Spannungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. September 2011)

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