Fünf Lehren aus der Nichtaffäre Strauss-Kahn

Fuenf Lehren Nichtaffaere StraussKahn
Fuenf Lehren Nichtaffaere StraussKahn(c) REUTERS (ALLISON JOYCE)
  • Drucken

Das Opfer der Affäre um die angebliche Vergewaltigung einer Hotelangestellten war erstens der Beschuldigte und zweitens das Prinzip der Unschuldsvermutung.

Noch weiß ich nicht, wie zur Zeit des Erscheinens dieser Zeilen der Stand der Dinge in dieser Nichtaffäre um Strauss-Kahn sein wird. Aber selbst wenn man nicht Spekulationen über die Zukunft anstellen will oder bereits Pläne für diesen Kometen und seine Rückkehr in die Politik schmieden möchte, erst recht nicht ungewisse Hypothesen über die Herkunft dieser finsteren Geschichte riskieren will, kann man doch bereits erste Lehren ziehen aus dem, was sich bisher abgespielt hat.


1.Die Kannibalisierung der Justiz durch das Spektakel. Diese Art, das unweigerlich langwierige Bemühen um die Wahrheitsfindung in einer Flut von Bildern zu ertränken, die aus einer miesen Realityshow stammen könnten, ist nicht typisch für Amerika. Aber man muss einräumen, dass sie in diesem Fall einen obszönen Höhepunkt erreicht hat. Schon am ersten Tag habe ich diesen berüchtigten „perp walk“ (in den USA öffentliche Vorführung eines Verdächtigen) als obszön bezeichnet, diese Methode, einen Mann, der sich in seiner schweigsamen Erhabenheit im Übrigen durch nichts beeindrucken ließ, zu demütigen und in Ketten durch den Dreck zu ziehen. Obszön auch, wie ihm bei seiner Ankunft mit seiner Gattin Anne Sinclair vor dem Gericht am 6.Juni ein ganzes Regiment von Hotelzimmermädchen „Schande über dich“ zuriefen, obwohl sie das Dossier der Ermittlungen gar nicht kannten. Das war nichts anderes als eine inszenierte Lynchhysterie. Obszön schließlich auch die auf den Stufen des Gerichtsgebäudes improvisierten Pressekonferenzen des Anwalts der Klägerin. Wenn es in dieser Affäre eine Vergewaltigung gab, die zwar nur symbolisch, aber dennoch sehr reell war, dann jene von Frau Diallo durch ihren eigenen Anwalt, der sich, oh ja, richtiggehend daran begeilte, vor den Kameras der Medien aus aller Welt mit den schamlosesten Worten die intimsten Stellen des Körpers seiner Klientin beschreiben zu können.

2.Der Robespierrismus dieser Inszenierung. Was ist das anderes als Robespierrismus (Bernard-Henri Lévy spielt auf den für seine Kompromisslosigkeit berühmten Revolutionspolitiker Maximilien Robespierre an, der 1793 maßgeblich an der Schreckensherrschaft beteiligt war und schließlich selbst auf der Guillotine endete), wenn man sich so einen Mann aus Fleisch und Blut packt, ihm seine Menschlichkeit nimmt und ihn in ein Symbol verwandelt? Und danach dieses Symbol mit allem, was uns in dieser Welt hassenswert erscheint, belädt? Ja, leider muss festgestellt werden, dass das sonst so pragmatische und Ideologien abgeneigte Amerika – und wir, samt und sonders, mit ihm – so tief gesunken ist. Dominique Strauss-Kahn war in diesen verrückten Wochen nicht mehr Dominique Strauss-Kahn. Er war nur noch das Abbild der weißen Bankiers und der Globalisierung. Und Frau Diallo war, ihm gegenübergestellt, die Verkörperung aller erniedrigten und misshandelten, dazu noch eingewanderten und armen Frauen. Unglücklicherweise entspricht eine solche Vorgehensweise nicht unbedingt der Gerechtigkeit. Die Justiz urteilt nicht über Symbole, sondern über menschliche Individuen. Es sei denn, sie fällt auf ein so tiefes Niveau, wie es (der Philosoph und Mathematiker) Nicolas de Condorcet, auch er ein Opfer von Robespierre unter vielen, „den mitfühlenden Eifer der angeblichen Freunde der Menschengattung“ genannt hat und was man nun in den aktuellen Umständen auch als „mitfühlende Lynchjustiz der angeblichen Freunde der Minderheiten“ bezeichnen könnte.

3.Gerade in Frankreich ist dieser Robespierrismus meist mit einem anderen Ismus einhergegangen, der nur scheinbar sein Gegenteil ist, in Wirklichkeit aber sein sein paradoxer Zwillingsbruder ist: der Barrèsismus (der nationalistische Politiker Maurice Barrès beeinflusste über seinen Tod, 1923, hinaus Frankreich mit einer Blut-und-Boden-Ideologie). Was ist dieser Barrèsismus? Das ist eine Sicht der Welt, die in einer anderen Affäre proklamierte: „Dass Dreyfus schuldig ist, leite ich nicht von Fakten, sondern von seiner Rasse ab.“ Die Affäre Strauss-Kahn ist natürlich nicht eine Dreyfus-Affäre (der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus wurde am Ende des 19.Jahrhunderts zu Unrecht wegen Verrats verurteilt und nach einer öffentlichen Kampagne gegen den Antisemitismus rehabilitiert). Aber es ist klar, wenn man diese Rechtsfrage in einen metaphysischen Streit zwischen Schwachen und Mächtigen verwandelt, schafft man eine neue Variante dieser Geschichte à la Barrès: „Ob Strauss-Kahn schuldig ist oder nicht, das leite ich, natürlich nicht von seiner Rasse, aber von seiner Klasse ab.“ Was letztlich auf das Selbe hinausläuft – und es ist verblüffend, wie viele Kommentatoren und große Geister, übrigens auch etliche Feministinnen, in diese Falle eines verkehrten Barrèsismus gehen konnten.

4.Hinzu kommt noch eine andere Versuchung, die unserer Epoche speziell eigen ist, nämlich die Heiligung der Aussage der Opfer. Ich möchte, dass man mich nicht falsch versteht: Wenn es einen Kampf gibt, den ich zeitlebens geführt habe und der in meinen Augen wirklich heilig ist, dann der, den Erniedrigten und Sprachlosen überall das Wort zu erteilen. Frau Diallo gehört höchstwahrscheinlich zu diesen Menschen. Aber es ist eines, ihnen das Wort zu erteilen. Etwas anderes ist es, dieses Wort als Evangelium zu nehmen. Wir sind da von einem Extrem ins andere übergegangen. Auf die Zeit, in der das Wort der Opfer der Weltordnung grundsätzlich nichts galt, ist eine Epoche gefolgt, in der diesem Wort im Vornherein alle mögliche Anerkennung und Unschuldsvermutung zugute kommt.

5.Ein letztes Wort noch. Wie ich von Anfang an vermutet habe, gibt es in dieser Affäre ein Opfer: Dieser Mann, dessen Leben und Ehre man den Hunden zum Fraß vorgeworfen hat, heißt Dominique Strauss-Kahn. Aber es gibt noch ein anderes Opfer in den Vereinigten Staaten und in Europa: den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip wurde mit Füßen getreten, von Boulevardblättern, die in ihrer Niedertracht wetteiferten, um Strauss-Kahn in ein „Monster“ und einen „Perversen“ zu verwandeln. Aber dies tat auch ein Teil der seriösen Presse, etwa das „Time Magazine“, das auf seiner Titelseite die „Arroganz der Mächtigen“ mit dem Bild eines Schweins illustrierte und damit weiter ging, als dies die schlimmsten Schmierblätter gewagt hätten. Das Prinzip wurde auch von den Bürokraten des IWF durchlöchert, die Strauss-Kahn zum Rücktritt zwangen, obschon sie nicht mehr wussten als die Hotelangestellten bei ihrer Demonstration am 6.Juni. Sie haben sich dadurch mit Schande bedeckt. Und das Prinzip der Unschuldsvermutung wurde endlich pulverisiert, auf beiden Seiten des Atlantiks, durch Bataillone beflissener Helfershelfer des permanenten Volksgerichts, das in den Medien und den Konversationen, auf den Fernsehschirmen und im Café an der Ecke errichtet wurde, um Strauss-Kahn mit pornografischer Lust an den Pranger zu stellen. Das alles erfordert, im Nachhinein wenigstens, eine kollektive Gewissensprüfung.

(c) Bernard-Henri Lévy

Im französischen Original publiziert in dem von Bernard-Henri Lévy herausgegebenen Journal „La Règle du Jeu“. Übersetzt und (jeweils kursiv in Klammern) mit Erklärungen versehen von Rudolf Balmer.

zum Autor

Bernard-Henri Lévy, geboren 1948 in Algerien, ist Journalist und Philosoph in Paris. Seine Anhänger sehen ihn als Erben Sartres, seine Kritiker werfen ihm Eitelkeit vor. Für Streit sorgte er etwa mit scharfer Kritik am Islamismus und respektlosen Bemerkungen über Kant.
EPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tristane Banon
International

Strauss-Kahn: Polizei vernimmt französische Autorin

Die französische Journalistin Tristane Banon wirft dem Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn versuchte Vergewaltigung vor.
Strauss-Kahn verlässt seine vorübergehende Wohnung in Manhattan.
International

Strauss-Kahn: Staatsanwalt hält an Anklage fest

"Die Ermittlungen gehen weiter", erklärt die New Yorker Staatsanwaltschaft nach einem Treffen mit den Anwälten des früheren IWF-Chefs.
International

DSK-Anwälte verhandeln mit Anklägern

Die Vorwürfe gegen den Ex-IWF-Chef in den USA sollen fallen, in Frankreich droht ein weiteres Verfahren- ebenfalls wegen versuchter Vergewaltigung. Die junge Publizistin Tristane Banon hat Strauss-Kahn angezeigt.
Strauss-Kahn
International

Strauss-Kahn: Anzeige nun auch in Frankreich

Eine französische Autorin gibt an, im Jahr 2002 von Strauss-Kahn sexuell bedrängt worden zu sein. Nun will sie ihn anzeigen.
Außenpolitik

Strauss-Kahn: Was geschah wirklich in der Suite 2006?

Nach der Entlassung Strauss-Kahns auf freien Fuß steigen die Chancen auf eine Niederschlagung des Verfahrens. Während der Ex-IWF-Chef seine Freiheit feierte, häufen sich die Zweifel an seinem angeblichen Opfer.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.