Justizkommissarin Reding ist von Österreich "persönlich enttäuscht", widerspricht Darstellungen der Regierung und rügt die heimischen Behörden: "Sie haben sich nicht mit Ruhm bekleckert."
EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat Österreich wegen des Vorgehens der Behörden gegenüber Litauen im Fall des als Kriegsverbrecher bezeichneten russischen Ex-KGB-Offiziers Michail Golowatow kritisiert. "Ich persönlich bin enttäuscht von der österreichischen Vorgehensweise. Die österreichischen Behörden haben sich im Fall Golovatov nicht mit Ruhm bekleckert", sagte Reding am Dienstag.
Es sei "schon ein einmaliger Vorgang, dass ein solcher Vorfall im Rahmen eines EU-Justizministertreffens zur Sprache gebracht werden musste." Die Golowatow-Affäre war beim jüngsten informellen Justizministerrat im polnischen Sopot Thema. Auch VP-Ressortchefin Beatrix Karl war vertreten.
Reding widerspricht Österreich
"Einigermaßen erstaunt bin ich darüber, dass österreichische Stellen nun gegenüber den Medien behaupten, die Kommission habe Österreich Recht gegeben. Dies ist keineswegs der Fall", betont Reding.
Justizministerin Beatrix Karl zeigte sich über die nunmehrige Kritik verwundert. Ministeriumssprecher Peter Puller betonte am Dienstagnachmittag, dass Reding beim EU-Justizministertreffen im polnischen Sopot selbst von einem rechtlich korrekten Vorgehen Österreichs gesprochen habe.
Reding habe damals gesagt, die österreichische Entscheidung sei zwar "rechtlich korrekt", dass sie diese aber "politisch hinterfragt". In dem Fall habe es aber keine politische Entscheidung gegeben, sondern eine Entscheidung der Justizbehörden. "Wir legen Wert darauf, dass unsere Behörde rechtlich korrekt entscheidet", betonte Puller.
Karl kritisiert Redings "Meinungsumschwung"
VP-Justizministerin Karl lässt die Kritik von EU-Kommissarin Reding nicht gelten. Im "Report" des ORF-Fernsehens zeigte sich Karl am Dienstagabend verwundert über den "Meinungsumschwung" der Kommissarin. "Ich werde ihr einen Brief schreiben und sie persönlich ansprechen. Mich interessiert, was sie zu diesem Meinungsumschwung bewegt hat."
Karl konterte der Kommissarin auch mit dem Hinweis auf frühere Aussagen Redings. Die EU-Kommissarin habe in der Vorwoche "gesagt, Österreich hat rechtlich richtig gehandelt".
Karl wies Kritik an der Freilassung Golowatows neuerlich zurück. Die österreichische Justiz sei Litauen "sehr entgegengekommen", indem zwei Mal eine Frist zur Konkretisierung der Golowatow zur Last gelegten Taten gesetzt wurde. Da der Europäische Haftbefehl nicht gegriffen habe, sei österreichisches Auslieferungsrecht zur Anwendung gekommen. "Das bedeutet, dass ein hinreichender Tatverdacht begründet werden muss", erläuterte Karl. Man habe in Vilnius "fünf Mal" weitere Informationen urgiert, "wir haben sie nicht bekommen".
"Expertengruppe entscheidend"
Michail Golowatow
Das Ergebnis der kommende Woche in Wien zusammentretenden Expertengruppe zum Fall Golowatow aus litauischen und österreichischen Justizvertretern ist entscheidend für die Zukunft der Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Litauens Außenminister Audronius Azubalis sagte am Mittwoch in Vilnius, wenn die Gruppe zu "überzeugenden und allumfassenden Schlussfolgerungen" komme, die österreichische Seite kooperiere und sämtliche von Litauen geforderte Informationen zur Verfügung gestellt würden, dann glaube er an eine Lösung "in eine positive Richtung", sagte Azubalis.
Ansonsten sei eine Entschuldigung Österreichs fällig. "Wenn jemand einen Fehler macht, hat er sich zu entschuldigen. Das ist ganz natürlich", zitierte die baltische Nachrichtenagentur BNS den litauischen Minister. Tags zuvor hatte Staatspräsidentin Grybauskaite gemeint, es gehe in der Angelegenheit nicht vorrangig um eine etwaige Entschuldigung Österreichs, sondern viel mehr darum, generell andere europäischen Staaten wegen der "nachlässigen Toleranz" gegenüber mutmaßlichen Kriegsverbrechern zu sensibilisieren.
Golowatow war in der "Blutnacht" von Vilnius im Jänner 1991 Kommandant einer KGB-Spezialeinheit, die den Fernsehturm in der litauischen Hauptstadt stürmen wollte, um die Unabhängigkeitsbestrebungen des baltischen Landes zu desavouieren. Damals starben 14 Menschen. Litauen suchte ihn mit einem Europäischen Haftbefehl. Allerdings greift dieser in dem Fall nicht, weil er sich nur auf Taten beziehen darf, die nach seinem Inkrafttreten begangen wurden. Der Europäische Haftbefehl wurde im Jahr 2002 geschaffen.
(Ag.)