Haben Postfeministinnen besseren Sex?

Haben Postfeministinnen besseren
Haben Postfeministinnen besseren(c) Dapd (David Hecker)
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Charlotte Roche will mit ihrem Roman "Schoßgebete" das "Tabu Sex in der Ehe" brechen und beginnt mit einer Szene, in der eine Frau ihren Ehemann "bedient". Ist das postfeministisch? Ist das Literatur?

Nehmen wir Robert Menasses „Don Juan de la Mancha“: Nehmen wir zunächst diesen Roman, der ebenso wie Charlotte Roches jüngstes Buch „Schoßgebete“ mit einer deftigen Sexszene anhebt – im Mittelpunkt steht eine Chilischote, und die Sache ist eher schmerzhaft. Es ist nicht die einzige Passage, in der Menasse eine sexuelle Begegnung beschreibt, tatsächlich handelt fast der ganze Band davon, wie der Ich-Erzähler Frauen kennenlernt, Frauen verführt, Frauen ins Bett bekommt – oder aber sie kennenlernen will, verführen will und ins Bett bekommen will, durchaus komisch beschrieben übrigens, mit einer am großen Meister Philipp Roth geübten Selbstironie. Das Verblüffende ist nur: Der Ich-Erzähler ist zwar verheiratet, die Einzige aber, mit der er das ganze Buch über nicht schläft (und anscheinend auch früher nicht geschlafen hat!), ist seine Frau.

Fast klinische Beschreibungen

Und damit ist Menasse nicht allein: Ehefrauen haben in der Literatur keinen Sex – es sei denn, sie gehen fremd. Natürlich gibt es John Updike, für den die ganz normalen Beschwernisse, Freuden und Wunderlichkeiten des Familien- und Ehelebens immer Stoff genug boten. Oder Arno Geiger, der mit „Alles über Sally“ die Studie einer sich aus Erlahmung befreienden Partnerschaft vorgelegt hat. Aber das sind rare Ausnahmen. Sehr rare.

Wenn Roche nun sagt, sie breche mit „Schoßgebeten“, ihrem zweiten Buch nach dem Sensationserfolg der „Feuchtgebiete“, das „letzte Tabu“, hat sie dieses Phänomen im Sinn gehabt: die Scheu der Autoren, darüber zu schreiben, wie sich die Sexualität eines Paares entwickelt. Zu groß ist wohl die Gefahr, dass sich der Partner ausgestellt fühlt. (So viele Ehepartner hat der durchschnittliche Autor ja schließlich auch wieder nicht, auf die er beschreibend zurückgreifen könnte!) Das weiß auch Roche. Darum hat sie von ihrem Mann vorab die Erlaubnis eingeholt, dieses Thema zu beackern. Trotzdem war er, erzählt sie, vom fertigen Produkt, das angeblich zu 70 Prozent autobiografisch ist, „schwer geschockt“.

Wohl weniger der „expliziten“ Passagen wegen, die erstaunlich distanziert, fast technisch ausfallen, gar nicht so intim, wie man sich das erhofft hat – und vor allem detaillierte Tipps zur gekonnten Fellatio bieten. Der versprochene Tabubruch sähe wohl anders aus, das hatten wir in „Feuchtgebiete“ schon, streng riechende Penisse inklusive. In der zweiten längeren Sexpassage bleibt der liebe Gatte überhaupt außen vor und es dominieren die Praktiken der Prostituierten, die das Paar angeheuert hat. In der dritten hat dann die Ich-Erzählerin nach einer vom Mann geforderten Abtreibung munter mit ihm Analsex. Die Vagina müsse geschont werden. Nun gut, irgendwas muss erfunden sein.

Jedenfalls wird er kompromisslos vorgeführt, der Ehemann, aber Charlotte Roche stellt sich auch selbst aus, und aus dieser Kompromisslosigkeit lässt sich so manche Erkenntnis gewinnen: Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass im Jahr 2011 „feministische“ Verbote („Du sollst deinen Mann nicht bedienen, du darfst dich nicht als Sexobjekt behandeln lassen“) eine ähnlich anregende Rolle spielen können wie anno dazumal die Verbote der katholischen Kirche? Wie geht das Sprichwort? Katholiken haben den besten Sex. Gilt das neuerdings für Postfeministinnen auch?

Roches Asset war immer schon ihre Ehrlichkeit: die Tatsache, dass sie beschreibt, wovor andere zurückschrecken, weil es zu eklig, zu brutal oder zu peinlich ist – angefangen vom Kot, den Gebärende nun einmal absetzen, über Fadenwürmer, die im After jucken, bis zur rasenden Eifersucht auf das Stiefkind. Dabei handeln die Passagen, die wirklich an Tabus rütteln, oft gar nicht so sehr von Sex – sondern von den Empfindungen einer Mutter und Stiefmutter. Der so geheime wie gefinkelte Terror, mit dem die Ich-Erzählerin (70 Prozent!) dem Stiefsohn Versagensängste einimpft, wird ebenso genau beschrieben wie die Unerbittlichkeit, mit der sie gegenüber ihrer Tochter „konsequent“ ist, weil man eine Drohung schließlich wahr machen muss. Sie will schließlich eine „gute Mutter“ sein, eine Mutter, die alles richtig macht – und bei einer guten Mutter isst das Kind auch Wirsing!

Diese Szene gehört zu einer der schöneren des Bandes, der zwar interessant ist, mehr als Authentizität aber kaum anzubieten hat. Besonders deutlich wird die fehlende literarisch-gestalterische Kraft vor allem dort, wo Roche ein altes Trauma in den Text zu integrieren versucht: den Unfalltod dreier Halbbrüder am Tag vor ihrer geplanten Hochzeit. Am Horror scheitert der Plauderton und wirkt banal.

Ein Roman? Ein Bericht

Aber Charlotte Roche hat sich auch nie als Schriftstellerin bezeichnet, und so muss man das Buch eher als Bericht nehmen und weniger als Roman: So lebt frau 2011, zwischen dem Wunsch, cool und unverklemmt zu sein (wozu bei Roche gehört, dass man seine Eifersucht in den Griff bekommt), dem Versuch, alles anders zu machen als die eigene Mutter, der Anstrengung, sich von Machismo und überkommenen feministischen Dogmen gleichzeitig abzugrenzen. Das kann man lesen, man kann sich freilich auch mit den so kurzweiligen wie intelligenten Interviews begnügen, die im „Spiegel“ und in der „FAZ“ erschienen sind – und in der so gesparten Zeit Maja Haderlap lesen oder Sabine Gruber oder Lydia Mischkulnig.

Zur Person

Charlotte Elisabeth Grace Roche wird im März 1978 im mittleren Südengland als Tochter eines Ingenieurs und einer politisch und künstlerisch aktiven Mutter geboren und übersiedelte im Alter von acht Jahren nach Deutschland.

Ab 1998 moderierte sie die Sendung „Fast Forward“ beim Musiksender Viva zwei. Harald Schmidt nannte seine Kollegin später „Queen of German Pop Television“. Nach verschiedenen Moderationstätigkeiten, kleineren Filmrollen veröffentlichte sie 2008 ihren ersten Roman, „Feuchtgebiete“, der sich mehr als eine Million Mal verkaufte. Diese Woche erscheint Roman zwei: „Schoßgebete“ (Piper).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2011)

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