Charlotte Roche: Der Schock im Plauderton

Charlotte Roche Schock Plauderton
Charlotte Roche Schock Plauderton(c) AP (Markus Schreiber)
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Charlotte Roche, die mit "Schoßgebete" ihren zweiten Roman veröffentlicht hat, zeigte schon als Moderatorin großen Hang zur Offenherzigkeit.

Zeig mir deine Unterhose“, sagt sie zu ihm. Er: „Ich hab sie doch eh schon allen gezeigt!“ „Aber zeig sie mir! Soll ich dir dafür meine zeigen?“ „Hast du da eine Schlange drauf?“ „Nein, ich trage gar keine Unterwäsche!“ „Tatsächlich! Du trägst gar keine!“ „Es waren alle schmutzig. Weißt du, wie nervös ich war? Ich hatte den ganzen Tag Durchfall!“

Ein Ausschnitt aus Charlotte Roches 2008 erschienenen „Feuchtgebieten“? Oder aus ihrem eben mit einer Startauflage von 500.000 Stück ausgelieferten Buch „Schoßgebete“, das mit einer 22-seitigen minutiösen Beschreibung von ehelichem Oralsex anhebt und in der Folge unter anderem erklärt, wie man Fadenwürmer diagnostiziert und sich auf Analsex vorbereitet?

Nein, der Dialog stammt gar nicht aus einem Roman, und er ist auch deutlich älter: 2000 führte Roche für den Sender Viva Zwei ein Interview mit Robbie Williams, der damals auf den Höhepunkt seiner Karriere zusteuerte. Nach einem netten Geplänkel über Zensur und verpatzte Auftritte wollte die Moderatorin das Gespräch eigentlich beenden. Ob ihr denn die Fragen ausgegangen seien, fragte der Popstar provokant. Das konnte Roche, die ihr Format Fast Forward zum Kult hochquasselte, nicht auf sich sitzen lassen – ging in die Offensive und wollte die Unterhose sehen.

Sie zeigte ihre Zahnlücke. Charlotte Roche hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Peinlich war ihr auch nichts. Sie setzte sich mit Marilyn Manson in einen Beichtstuhl und himmelte ihn an, als sei er der Höchste persönlich. Sie begrüßte Harald Schmidt, der sie in seine Show eingeladen hatte, gut gelaunt mit „Du Ratte“ und stellte ihre Erfindung vor, nämlich einen Apparat, mit dem Schwangere sich den Damm massieren können. Später erzählte sie von Eiter, Zahnersatz und Kieferrückbildung. Höhepunkt des Auftritts: Roche hatte genug davon, über den ausgefallenen Zahn nur zu plaudern. „Ich kann das ja einmal zeigen.“ In der Folge demonstrierte sie dem Publikum nicht nur die riesige Zahnlücke („Ich sehe aus wie eine asoziale Alkoholikerin“), sondern auch ein kleines Kunststück: Sie warf den Zahnersatz in die Höhe, schnappte nach ihm und – schwupps, saß er wieder an Ort und Stelle.


Harald Schmidt in Hochform. Was bringt nun das, außer kurzes Amüsement über eine Zirkusnummer? Sagen wir es so: Charlotte Roche war nicht das erste Mal bei Harald Schmidt und nicht das letzte Mal, tatsächlich war sie lange vor ihrem Erfolg mit dem so provokanten wie offenherzigen und freudig Tabus brechenden Band „Feuchtgebiete“ (450.000 verkaufte Exemplare in den ersten Wochen!) so etwas wie ein Stammgast in seinem Studio.

Der Late-Night-Talker wusste warum: Er lief im Gespräch mit der „Queen of German Pop Television“, wie er sie nannte, zur Hochform auf. Selten war er so schlagfertig. Und so ging es den meisten, denen sie gegenübersaß, ob als Gast oder Gastgeberin: In ihren Interviews mit den Pop-Größen dieser Welt, ob sie nun Prince oder Marilyn Manson oder „Die Ärzte“ hießen, wagte sie sich immer ein Stück weiter hinaus als ihre Kollegen. Und zog dabei ihre Interviewpartner mit.

Als Moderatorin war sie so etwas wie der André Müller des Fernsehens – auch André Müller hatte keine Scheu gehabt, sich zu entäußern: Einer der Glanzstücke seiner Karriere neben Interviews mit Bernhard, Peymann und Co. war ein hochdramatisches Gespräch mit der eigenen Mutter.

So gesehen hat Charlotte Roche in ihren beiden Büchern perfektioniert, was sie als Moderatorin einst begonnen hatte: den exhibitionistischen Plauderton. Durch das harmlose Geplapper, durch so manche kecke Formulierung verwandelt sie den Schock in einen Witz: je größer die Fallhöhe, desto witziger. Dass sie sich dabei ausstellt, dass sie Privates vor Millionen preisgibt, ist ihr egal. Wer alles zeigt, hat schließlich nichts mehr zu verbergen. Eine seltsame Flucht nach vorn: Charlotte Roche scheint nämlich durchaus Angst davor zu haben, ertappt zu werden.

Jedenfalls fährt sie gut damit: Denn natürlich macht nicht die literarische Qualität, sondern ihre kompromisslose, ungekünstelte Ehrlichkeit den Reiz ihrer Bücher aus. Die seien zu 70 Prozent autobiografisch. Und keineswegs als hohe Literatur zu betrachten: Sie bezeichne sich nicht als Schriftstellerin, das käme ihr wie Hochstapelei vor, meinte sie in einem der zahlreichen Interviews rund ums Erscheinen der „Schoßgebete“.


Der Sex der Mütter. Während Feuchtgebiete von Sex in Zeiten handelt, in denen Sagrotan in der Werbung vor nicht automatischen Seifenspendern warnt, weil man die anfassen muss und sich darauf Bakterien befinden, während es dort also um „schmutzigen“ Sex geht, handeln die „Schoßgebete“ vom Leben einer Ehefrau und Mutter – und damit (auch) davon, wann und wie man Sex hat, wenn ein Kind im selben Haushalt wohnt. Schließlich will man sich ja nicht erwischen lassen.

Auch diesen offenherzigen Umgang mit dem Thema Mutterschaft hat Roche in ihrem Moderatorendasein vorweggenommen: Bei einem acht Jahre nach der Unterhosen-Begegnung geführten Interview machte sie Robbie Williams darauf aufmerksam, dass sie Stilleinlagen trage. „Die sind nötig, damit keine Milch austritt. Du kannst vermutlich die Milch riechen.“ Diesmal reagierte der Musiker nicht ganz so souverän: „Das ist mehr Information als nötig.“

1978 wurde Roche in Großbritannien, geboren. Mit acht Jahren übersiedelte sie mit ihrer Mutter nach Deutschland.

Der Musiksender Viva Zwei engagierte Roche, die auch in einer Garagen-Rockband spielte, als Frontfrau für das Magazin „Fast Forward“. Ihre unkonventionellen Interviews und Moderationen brachten ihr unter anderem den Grimme-Preis ein. Andere TV-Formate für die Sender Pro 7, Arte und das ZDF waren weniger erfolgreich. 2008 erschien das erste Buch „Feuchtgebiete“ bei DuMont, das neue „Schoßgebete“ beim Piper Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2011)

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