Wo es langgeht, sagt der Raum

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Dass wir uns in manchen Gebäuden schneller zurechtfinden, ist kein Zufall. Gelungene Signaletikweist den Weg und kommt als Orientierungsgestaltung immer öfter zum Einsatz.

Wo bin ich? Wie komme ich weiter? Und wie komme ich hier jemals wieder hinaus? Wo man sich solche Fragen stellen muss, ist klar: Hier hat niemand an der Signaletik gearbeitet. Wenn doch, sollte er es lieber nicht laut sagen. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eigentlich etwas recht Einfaches, nämlich Leit- oder Orientierungssysteme. Im Optimalfall hat die Signaletik noch einen Mehrwert: Sie erzählt eine Geschichte, lässt den Raum sprechen und kann somit auch zur Corporate Identity beitragen. Oder sie sorgt dafür, dass wir uns hier wohl fühlen und gerne wieder kommen.

Orientierungsgestaltung ist an und für sich keine neue Disziplin. Von Flughäfen oder Bahnhöfen kennt man sie, auch wenn dort die gestalterischen Möglichkeiten meist nicht ausgeschöpft werden. Denn es geht nicht nur mit Schildern und Pfeilen. Das zeigt ein Beispiel aus einer Zeit, als es den Begriff Signaletik noch gar nicht gab. „Alte Moscheen wurden so gebaut, dass der Luftzug in den Gebetsraum führt, damit auch alte und sehschwache Personen sich zurechtfinden“, sagt Grafiker Dieter Mayer.

Schilderlose Orientierung. Er hat sich im Rahmen seines Studiums an der Universität für angewandte Kunst intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass es kaum Literatur dazu gibt. Deshalb gab er gemeinsam mit seinem Professor Erwin Bauer das Buch „Orientation & Identity“ heraus, in dem 17 Signaletik-Projekte vorgestellt wurden. „Dabei hat sich herausgestellt, dass die Signaletik oft erst am Schluss eines Projektes dazu kommt, dann ist es aber schon zu spät“, so Mayer. Denn damit ein Orientierungssystem gut funktioniert, muss es bei der Planung mitbedacht werden.

„Ein Gebäude muss von der Architektur her so angelegt sein, dass es sich selbst deutet. Man muss sich eigentlich auch ohne Schilder zurechtfinden“, sagt Thomas Pipp, der für die Signaletik beim neuen Hauptbahnhof in Wien zuständig ist. Viel Spielraum hat er dabei allerdings nicht. Die ÖBB und auch die EU geben genau vor, was wo wie beschildert werden muss. Die Gemeinsamkeit aller ÖBB-Bahnhöfe ist ihr blaues Schild. Zur besseren Orientierung wird beim Hauptbahnhof, der 2014 fertig sein soll, viel Licht und Glas eingesetzt. Und das Leitsystem endet nicht bei der Bahnhofstür. „Es geht auch darum, dass sich die Menschen draußen orientieren, also hinfinden. Oder wenn sie ankommen, wissen wo es weitergeht“, so Pipp. Dabei sollen Stelen helfen, die jeweils so positioniert werden, dass sie in Blickrelation über Ecken funktionieren.

Signaletik wird auf Bahnhöfen auch deshalb immer wichtiger, weil beim Service Menschen von Maschinen ersetzt werden. „Deshalb braucht es Einfachheit und Klarheit“, sagt Pipp. Dazu kommt, dass Bahnhöfe heute auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren, nämlich Stationen, bei denen Züge an- und abfahren. Ohne Shoppingmalls und Restaurants kommt ein Bahnhof heute nicht mehr aus. Und wo Geschäfte sind, ist auch Werbung, die nicht selten zu einer Überreizung führt und das Sich-Zurechtfinden erschwert.

Visitenkarte des Raumes. Aber nicht nur bei Transport-Hubs spielt Signaletik eine Rolle. Langsam aber sicher erkennen immer mehr Firmen und öffentliche Einrichtungen, dass ein Raum auch eine Visitenkarte sein und zum Wohlbefinden beitragen kann. „Vor rund zehn Jahren ist das Thema in Europa aufgekommen, seit fünf Jahren setzt man sich verstärkt damit auseinander“, sagt Sigi Ramoser vom Grafikbüro Sägenvier in Dornbirn. Für ihn ist die Basis der Signaletik die Orientierung. „Man kann damit ein Gebäude aber auch zum Sprechen bringen und Räume erzählen lassen.“

Das hat Ramoser und sein Team etwa bei einer Volksschule in Tschagguns gemacht. Das Projekt wurde mit dem Europäischen Designpreis (2009) und dem Designpreis Deutschland (2011) ausgezeichnet. „Der Direktor wollte ein Logo mit Kindern, davon haben wir ihm abgeraten“, sagt Ramoser. Stattdessen ließ er Kinder Buchstaben, Bilder und Symbole zeichnen, die dann für die Orientierung eingearbeitet wurden. Die Kinderzeichnungen führen somit durch den ganzen Kindergarten. Bei den Toiletten ist etwa unter dem Schriftzug „WC für Menschen mit Behinderungen“ ein Strichmännchen auf einem Wagen angebracht. Pfeile, die durch das Gebäude führen, sind von Kinderhand gemacht. Und eine Glaswand, die auch als Sichtschutz dienen soll, wurde mit verschiedenen Berufsbezeichnungen beschriftet. „Das hat somit mehrere Funktionen. Die Beschriftung bietet einen Sichtschutz und schafft eine Metapher zum Inhalt des Raumes. In einer Schule geht es ja auch darum, was man später einmal werden möchte“, so Ramoser. Positiver Nebeneffekt: Die Kinder fühlen sich wohl in der Schule und sind stolz auf ihre Zeichnungen.

Dennoch ist diese Projekt auch für Ramoser noch die Ausnahme. „Wir werden meist viel zu spät dazugeholt“, sagt auch er und bestätigt, wie Dieter Mayer, dass vor allem ältere Architekten mit dem Thema nichts anfangen können: „Die glauben, wir wollen nur Schilder aufhängen.“ Und: Bei Bauherren sei das Bewusstsein für Signaletik noch weniger ausgebildet. Dazu Dieter Mayer: „Das Problem ist, dass das budgetär oft nicht erfasst wird. Es gibt keinen Posten dafür im kalkulierten Budget, dabei ist das bei Gebäuden mit hoher Besucherzahl genauso wichtig wie eine Zentralheizung.“

Stadt-Signale. In anderen Ländern weiß man das schon länger. In Holland oder der Schweiz etwa, wo man in Sachen gestalterisches Bewusstsein schon immer einen Schritt voraus war, ist Signaletik schon stärker etabliert. Da kann auch Regula Widmer vom Wiener Grafikbüro Perndl & Co. bestätigen. Sie selbst hat ihre Ausbildung in der Schweiz absolviert. „Da war das sehr wohl ein Thema. In Österreich wird das leider noch stiefmütterlich behandelt.“ Die Signaletiker sind sich aber darin einig, dass sich das langsam, aber sicher ändern wird. Widmer hat etwa in Städten wie Bern, Frankfurt oder Paris auch gelungene Leit- und Orientierungssysteme im öffentlichen Raum beobachtet. „Der Besucher findet sich dort ohne Plan zurecht.“ Wenn er dann auch keinen Passanten mehr fragen muss, wo er sich denn gerade befindet und wie er da bitte schnell wieder hinaus findet, haben die Signaletiker ihre Aufgabe gut gemacht.

projekte

Hauptbahnhof Wien
Thomas Pipp sorgt für Orientierung, dabei wollen strenge Auflagen der ÖBB und der EU erfüllt sein.

Volksschule Tschagguns
Das Vorzeigeprojekt des Grafikbüro Sägenvier in Dornbirn wurde u. a. mit dem europäischen Designpreis 2009 ausgezeichnet.

Bildungszentrum der Wiener Stadtwerke
Durch das Gebäude leiten und lenken Verästelungen in verschiedenen Rottönen, entworfen vom Grafikbüro Perndl & Co.

„Orientation & Identity“
Ein Sammelband stellt 17 Signaletik-Projekte vor, hg. von Dieter Mayer und Erwin K. Bauer (Springer).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2011)

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