Wer bewacht die Wächter der Wächter?

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Das Leck bei WikiLeaks verdeutlicht, dass das Internet kein neues Zeitalter der Aufklärung einläuten wird. Technik macht Menschen nicht besser.

Quis custodiet ipsos custodes“ – wer bewacht die Wächter? Als der altrömische Satiriker Juvenal diese Frage in einem seiner Texte stellte, spielte er eigentlich auf das Verhältnis von Sklaven und ihren Eigentümern an. Doch es dauerte nicht lange, bis das Zitat umgedeutet und in Zusammenhang mit der großen Politik gebracht wurde, konkret mit jenen „Wächtern“, die in Platons Opus magnum „Der Staat“ zur herrschenden Klasse einer idealen Gesellschaft erklärt wurden. Genau diese universelle Lesart machte aus Juvenals Vers ein geflügeltes Wort, das heute in keiner Zitatensammlung fehlen darf.

Die eingangs gestellte Frage wurde im Lauf der Jahrhunderte auf unterschiedlichste Art und Weise beantwortet: Als Mittel zur Disziplinierung der Mächtigen dienten unter anderem Religion, Ehre sowie die Angst vor dem Volksaufstand. Besonders gut bewährt hat sich dabei auch die Transparenz, also das Scheinwerferlicht der medialen Berichterstattung. Und das ultimative Mittel, um Transparenz zu erzeugen, ist dieser Tage das Internet.

Genau hier kommt WikiLeaks ins Spiel, ein Netzwerk der Enthüllung, das 2006 gegründet wurde und dessen Galionsfigur der Australier Julian Assange ist. Das hehre Ziel dieser Organisation ist es, Licht ins Dunkel der Staatsgewalt zu bringen – „we open governments“, wir öffnen Regierungen, lautet das Motto. Und besonderen Eifer legte WikiLeaks an den Tag, als es darum ging, die US-Regierung zu knacken. Im Dezember 2010 wurden auf der Internetplattform hunderttausende Akten des amerikanischen Außenministeriums veröffentlicht, die intime Einblicke ins Innenleben der US-Diplomatie gewährten.

Dass die Namen der handelnden Personen in den damals veröffentlichten Unterlagen unkenntlich gemacht wurden, versteht sich von selbst – schließlich wollte man keine Informanten gefährden. Dummerweise sind die WikiLeaks-Macher der Illusion erlegen, sie seien besser, glaubwürdiger und moralisch gefestigter als ihre staatlichen Widersacher. Dem war allerdings nicht so. Denn die Akten haben sich verflüchtigt und sind jetzt in ihrer vollen, ungeschwärzten Pracht im Internet abrufbar. Damit ist das Leben vieler Menschen in Gefahr, denn Diktatoren haben es bekanntlich nicht so gern, wenn ihre Untertanen mit dem großen Satan USA kooperieren.

Wenn es stimmen sollte, dass WikiLeaks die heiklen Unterlagen auf einem mangelhaft gesicherten Server geparkt hat und die Zugangsdaten auf einem Kaszettel niedergeschrieben wurden, dann muss die Hybris von Assange und Co. wohl grenzenlos gewesen sein. Aus irgendeinem Grund scheinen sie geglaubt zu haben, dass die Transparenz bei ihnen aufhört. Doch es zeigt sich jetzt in aller Deutlichkeit, dass nicht nur die Wächter bewacht werden müssen, sondern auch die Wächter der Wächter – und so weiter, und so fort, ad infinitum.

Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Nicht wirklich. Ein erster Schritt wäre es anzuerkennen, dass das Internet kein neues Zeitalter der Aufklärung einläuten wird. Der Blick zurück macht deutlich, dass Technologien nicht zu Heilsbringern taugen. Schließlich wurde im 19. Jahrhundert auch das Fahrrad zum Werkzeug der gesellschaftlichen Revolution verklärt, weil es jungen Menschen beiderlei Geschlechts erstmals ermöglichte, den familiären Aufsichtsorganen zu entwischen. Und was ist von dieser angeblichen sozialen Sprengkraft übrig geblieben? Die Tour de France und der Radler.

Erkenntnis Nummer zwei: Mit Technik lassen sich menschliche Schwächen nicht beseitigen. Das Leck bei WikiLeaks hat nichts mit dem Internet zu tun, aber viel mit Selbstüberschätzung, Geltungssucht und Leichtsinn. Der Hacker Kevin Mitnick, der in den 1990er-Jahren die US-Behörden das Fürchten lehrte, ist das beste Beispiel dafür. Es waren nicht die Programmierkünste, die es Mitnick ermöglicht haben, ins Netzwerk des Pentagons einzudringen, sondern sein Talent im zwischenmenschlichen Kontakt: Mit geschickten Fragen und einer vorgetäuschten Identität gelang es ihm, seinen Gesprächspartnern alle Passwörter zu entlocken. Denn Wächter sind auch nur Menschen. Seite 1

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2011)

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