Biennale: Große Premieren in Venedig

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David Cronenbergs stilvolles, gewohnt eigensinniges Historiendrama „A Dangerous Method“ über Freud und die Dokumentation „Whores' Glory“ des Österreichers Michael Glawogger überzeugten beim heurigen Wettbewerb.

Die „Madonna!“-Rufe am Lido sind verklungen: Es waren nicht etwa Flüche wegen eines eher bescheiden begonnen habenden Festivals, sondern Begeisterungskundgebungen für die an den Lido geladene Popikone. Das sorgte für Paparazzi-Ströme und Fan-Freuden. Madonnas Donnerstagnacht außer Konkurrenz präsentierter zweiter Spielfilm W. E. dürfte auch nur bei ihren Exegeten für Begeisterung sorgen. Ihre mit einer modernen Parallelhandlung aufgemascherlte Historienromanze (um den britischen König Edward VIII. und die Frau, für die er abdankte) pendelte zwischen wollüstigem Kitsch und unfreiwilliger Komik. Das Festival zeigte ihn offensichtlich nur aus Starkultgründen.
Keinem Starkultverdacht setzt sich dagegen der große kanadische Regisseur David Cronenberg aus, der am Freitag mit dem Psychoanalysedrama A Dangerous Method den ersten überragenden Film des heurigen Wettbewerbs vorstellte. „Ich glaube, Fans meines Films Die Fliege (1986) werden A Dangerous Method nicht unbedingt automatisch lieben“, meinte Cronenberg trocken, „aber Fans von Freud und Jung sehr wohl. Und die beiden haben wahrscheinlich mehr Fans als ich!“ Cronenbergs stilvolles, dabei gewohnt eigensinniges Historiendrama über das Verhältnis zwischen Sigmund Freund und C. G. Jung basiert auf dem Stück „A Talking Cure“ von Drehbuchautor Christopher Hampton: Die spätere Psychoanalytikerin Sabina Spielrein (Keira Knightley) wird dabei zur Schlüsselfigur.

Gewalttätige Gefühle . . .

Am Anfang wird Spielrein, fast wie in einem Horrorfilm, schreiend und verkrümmt in einer Kutsche in die Zürcher psychiatrische Klinik Burghölzli eingeliefert, wo Jung (Michael Fassbender) arbeitet. An der vermeintlich hysterischen, hochgebildeten jungen Frau probiert Jung mit Erfolg seine „Redekur“ aus – und beginnt später unter dem Einfluss des anarchistischen österreichischen Kollegen Otto Gross (prächtig überdreht: Vincent Cassel) eine Affäre mit ihr. Indessen wird über Briefwechsel und gegenseitige Besuche die Beziehung zwischen Jung und Freud (Viggo Mortensen) vertieft. Der einst mit intellektuellen Verstörungsbildern bekannt gewordene Filmemacher Cronenberg inszeniert hier täuschend klassisch: Hinter den gewitzten Dialogen und dem sorgfältigen Dekor (gedreht wurde teilweise in Wien) verbergen sich gewalttätige Gefühle.
Das Verhältnis zwischen Freud und Jung inszeniert Cronenberg auch als einen Machtkampf, der intelligent in einen weiten historischen Kontext eingebettet ist. Jung wirkt dank Fassbenders Darstellung einnehmend – trotz seines überlegenen Gehabes und der immer stärker werdenden Aura eines tragischen Visionärs.
Freud, die Vaterfigur, gegen die Jung schließlich rebelliert, wird von Mortensen ebenfalls vielschichtig angelegt: ständig Zigarre rauchend, entschieden pragmatisch und darin etwas steif, aber dafür mit schlagfertigem Witz. Einmal sitzen die beiden Pioniere der Psychoanalyse im Café Sperl, Freud warnt den Kollegen, ihren Feinden nicht durch unüberlegtes Vorgehen Wasser auf die Mühlen zu gießen – denen käme es schon genug entgegen, dass alle Mitglieder des Wiener psychoanalytischen Kreises Juden seien. Als Jung meint, er verstehe nicht warum, erwidert Freud nur mit entwaffnender Beiläufigkeit: „Das, mein Freund, ist eine ausnehmend protestantische Bemerkung.“
A Dangerous Method ist wie Cronenbergs Rennfahrerfilm Fast Company und sein Melodram M. Butterfly ein Hauptwerk des Regisseurs, das darauf verzichtet, seine konsequente Beschäftigung mit den Gegensätzen von Körper und Geist sowie von Trieben und gesellschaftlicher Unterwerfung in die berühmt-berüchtigten Cronenberg-Schockbilder zu kleiden. Der Regisseur des ersten österreichischen Beitrags in Venedig bleibt sich hingegen sichtlich treu: Michael Glawogger stellte am Freitagnachmittag im Zweitbewerb „Orizzonti“ seinen dokumentarischen Essay Whores' Glory vor, ein Triptychon zur Prostitution, das drei kulturell, sozial und religiös völlig unterschiedliche Schauplätze präsentiert.

. . . todesnahe Leidenschaft

Vom sterilen „Fish Tank“ in Bangkok geht es über die chaotische, riesige „Stadt der Freude“ in Bangladesh zur dreckigen, todesnahen und doch am stärksten von Leidenschaft durchdrungenen „Zona“ in Mexiko: Wie in seinen früheren Weltreisedokus Megacities und Workingman's Death geht es Glawogger in seinem bildgewaltigen Film aber nicht um simple soziale Entrüstung, sondern um tiefere, auch spirituelle Schichten. Whores' Glory wird als „ein Hurenfilm“ beworben, aber es ist eher ein Film über die Rituale der (käuflichen) Liebe und das Verhältnis von Mann und Frau. Mehr dazu beim österreichischen Kinostart nächste Woche.

Was noch kommt

Am Wochenende läuft bei den Filmfestspielen am Lido ein Geheimfavorit des heurigen Wettbewerbs: „Alps“ vom griechischen Jungtalent Yorgos Lanthimos.
Außer Konkurrenz werden indessen Steven Soderberghs Virus-Thriller „Contagion“ mit Gwyneth Paltrow, Chantal Akermans Adaption von Joseph Conrads „Almayers Wahn“ sowie die Theaterverfilmung „Wilde Salome“ von Schauspieler Al Pacino gezeigt.

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