Raidl: „Sie sind viel zu schade für den Bundesrat“

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Wenn Claus Raidl poltert, Heinrich Neisser das Wahlrecht einfordert und Reinhold Lopatka auf den Druck der Straße hofft, muss es um den Stillstand in Österreichs Politik gehen.

Wien/Red. Manchmal erntet man auch mit unangenehmen Aussagen Applaus – wenn man Claus Raidl heißt. Als der Manager zu Beginn der von Industriellenvereinigung und „Presse“ veranstalteten „Aufbrüche“-Podiumsdiskussion die Titelfrage „Österreich reformresistent?“ mit einem lauten „Ja!“ beantworte, wurde begeistert geklatscht.

Wie Raidl die 100 Zuhörer mit seinen Thesen überhaupt schnell für sich gewinnen konnte: Reformen seien in dem Land, das von einer sich lähmenden Großen Koalition regiert werde, de facto unmöglich. Dafür sorgten auch noch Sozialpartner und der Föderalismus in Gestalt der Landeshauptleute. Die äußerst lebhafte Diskussion – moderiert von „Presse“-Innenpolitik-Ressortleiter Rainer Nowak – entzündete sich wie so oft, wenn es um eine Staatsreform geht, an der Marginalie Bundesrat: Den würde Raidl, der mit einer eigenen Initiative für eine Verwaltungsreform kämpft, auflösen, was er Susanne Neuwirth, Präsidentin desselben gleich sagte: „Sie sind doch viel zu schade für den Posten!“ Die sah und sieht das naturgemäß anders und will eher eine Aufwertung: „Man sollte nicht ausgerechnet bei demokratischen Rechten und Instrumenten ansetzen.“

Heinrich Neisser, Ex-ÖVP-Politiker, konstatierte erheitert, dass sich „sein alter Freund Raidl“ in populistischer Pose überraschend gut mache und warb selbst (auch unter Applaus) für eine Reform des Wahlrechts, die er heute, Freitag, der Öffentlichkeit in Wien vorstellen wird: Das Persönlichkeitswahlrecht müsse gestärkt werden, nur wenn der Abgeordnete für die Wähler seines Wahlkreises – also nicht nur der Partei – verantwortlich sei, könnten Reformen gelingen. Dem stimmte der Universitätsprofessor Franz Merli inhaltlich zu, der sonst mahnte, die Debatte um eine Verwaltungsreform nicht mit unausgegorenen Einzelmaßnahmen und der Hoffnung auf sofortige Geldersparnis zu führen.

Dem Vorstoß für die Errichtung kleinerer Wahlkreise, in denen es direkte Duelle um das nur für den Stimmenersten zu holende Mandat geben soll, kann Reinhold Lopatka, ÖVP-Abgeordneter und Ex-Staatssekretär, nichts abgewinnen: In der ÖVP würden dann etwa (noch) mehr Kandidaten, die sich auf den finanziell und personell dominanten Bauern- oder Seniorenbund verlassen könnten, zum Zug kommen. Generell sieht er den vielfach konstatierten Stillstand in der Regierung in der Verantwortung des Kanzlers. Ändern könnte dies nur „Druck von der Straße“, wie Lopatka zur Überraschung des Publikums meinte. Für eine solche sorgte auch Susanne Neuwirth: Die SPÖ-Bundesratspräsidentin kann sich die Einführung von Studiengebühren bei sozialer Abfederung vorstellen. Das begeisterte wiederum Raidl – „zu schade eben...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2011)

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