PKK: Geschrumpft, aber noch immer schlagkräftig

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Untergrundorganisation kann den Krieg gegen die Armee nicht gewinnen. Sie hofft aber, dass der Staat irgendwann des Kampfes müde wird. Pläne der Regierung Erdoğan, die Verfassung zu ändern, setzen sie unter Druck.

Istanbul/Wien. „Mit Seele und Blut sind wir bei Dir, o Führer!“ Nichts charakterisiert die Rebellen von der Partei der Arbeiter Kurdistans (PKK) mehr als dieser Schwur der PKK-Kämpfer auf Abdullah Öcalan. Im Grunde steht die Partei weder links noch rechts, sondern bei Öcalan. Politische Schlagwörter – wie früher etwa das Bekenntnis zum „wissenschaftlichen Sozialismus“ – meinen immer nur die Auslegung dieser Begriffe, die der halbgöttliche Führer gerade vorgibt.

Doch der wegen Hochverrats zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der Begnadigung verurteilte Öcalan lebt seit zwölf Jahren als Gefangener auf der Insel Imrali. Daher kann er die PKK nur durch Hinweise leiten, die er über seine Anwälte übermittelt. „Es ist wohl nicht so, dass er in der Zelle sozusagen auf einen Knopf drückt und dann hören die zu kämpfen auf. Aber sein Wort wiegt noch immer schwer“, sagt Türkei-Experte Cengiz Günay vom Österreichischen Institut für Internationale Politik.

Das Boot, das die Anwälte auf die streng bewachte Insel bringen soll, hat allerdings des Öfteren einen Motorschaden, ist mit Wasser vollgelaufen, oder die Wellen sind gerade zu hoch – immer wieder gibt es Vorwände, die Anwälte nicht auf die Insel zu lassen.

Die operative Führung auch in politischen Fragen hat daher Murat Karayilan übernommen, ein Kampfgefährte Öcalans der ersten Stunde. Sein Hauptquartier hat er am Berg Kandil in der autonomen Region Kurdistan im Irak. Das Gelände ist unübersichtlich und nur einen Katzensprung von der iranischen Grenze entfernt.

Vor zwanzig Jahren verfügte die PKK über 2500Kämpfer im Irak – darunter ein hoher Anteil von Frauen – und vermutlich ebenso viele in der Türkei. Diese Stärke besitzt die PKK heute sicher nicht mehr, sie ist aber auch nicht zu unterschätzen. Ihre Kämpfer sind entschlossen, erfindungsreich und erfahren. Sie wissen, dass sie eine halbe Millionen türkische Soldaten nicht besiegen können und bauen darauf, dass die Türkei irgendwann einmal des Kampfes müde wird.

Verhandlungen abgebrochen

Im Moment zeigt die PKK dem Staat ihre Muskeln, weil Premier Erdoğan die geheimen Verhandlungen, die gesondert mit Vertretern der PKK und Öcalan geführt wurden, abgebrochen hat. Stattdessen ist er auf Tuchfühlung mit der Partei der türkischen Ultranationalisten gegangen, um mit ihrer Hilfe eine neue Verfassung durchzubringen. Das könnte ein Grund für die PKK sein, aggressiv zu werden. Grundlegende Forderungen der PKK wie Autonomie und Anerkennung der kurdischen Sprache müssten ja in die neue Verfassung geschrieben werden. Wenn Erdoğan das Grundgesetz aber mit den Ultranationalisten macht, bleibt für beide Seiten eigentlich nur noch Krieg.

Paradoxerweise hätte die PKK im gegenteiligen Fall genauso einen Grund, loszuschlagen, wie Experte Günay darlegt: „Teile der PKK haben gar kein Interesse, dass es zu einer Lösung im Rahmen der Verfassung kommt, denn das könnte ihren Daseinszweck als Guerilla infrage stellen.“ Günay sieht in der jüngsten Eskalation auch ein Zeichen dafür, „dass es in der Organisation unterschiedliche Strömungen und Interessen gibt“.

Die PKK hat auch viele Anhänger jenseits der Grenzen, unter Kurden im Iran, in Syrien und Europa. Daher dürfte es schwierig sein, ihr ohne eine Lösung der kurdischen Frage je beizukommen. Und Anklagen gegen Tausende angebliche PKK-Unterstützer wegen Terrorismus stärken letztlich nur die Bereitschaft junger Kurden und Kurdinnen, sich der PKK anzuschließen und „in die Berge“ zu gehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)

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