Kurdenkonflikt: Türkei bombardiert PKK-Stellungen

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Extremisten töteten bei Attacke 24 Soldaten in der hauptsächlich von Kurden bewohnten Provinz Hakkâri. Türkische Luftwaffe flog daraufhin Luftangriffe auf PKK-Zufluchtsorte im Nordirak und schickte Bodentruppen.

Istanbul. Ein Großangriff der kurdischen PKK hat am Mittwoch in den frühen Morgenstunden das Kurdenproblem wieder an die Spitze der türkischen Agenda katapultiert: Bei gleichzeitigen Angriffen an sieben Orten töteten die Untergrundkämpfer mindestens 24 Soldaten in der hauptsächlich von Kurden bewohnten gebirgigen Grenzprovinz Hakkâri. Es war einer der höchsten Verluste an Menschenleben, den die Armee in 27 Jahren Kampf gegen die PKK an einem Tag hinnehmen musste.

Präsident Abdullah Gül, sonst kein Mann martialischer Rhetorik, kündigte eine „sehr große Vergeltung“ an: „Jene, die uns diesen Schmerz zugefügt haben, werden einen noch viel größeren Schmerz erleiden.“ Und der Gegenschlag hat auch sogleich begonnen: Die türkische Armee soll bei der Verfolgung der Terroristen mit Kommandoeinheiten bereits acht Kilometer auf irakisches Gelände vorgedrungen sein. Türkische Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Artillerie griffen vermutete Stellungen der Rebellen im Nordirak an.

Die Kämpfe begannen um ein Uhr morgens mit Angriffen der PKK auf Stellungen des Militärs und auf Polizeistationen. Nach türkischen Schätzungen waren etwa 200 Rebellen beteiligt. Bei der Verfolgung durch die türkische Armee sollen bereits mindestens 21 Rebellen getötet worden sein.

Der Großangriff erfolgte auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem sich auf Befehl des gefangenen PKK-Führers Abdullah Öcalan eine Gruppe von Kämpfern den türkischen Behörden gestellt hatte. Damit wollte Öcalan die Bereitschaft der PKK demonstrieren, auf die von Premier Recep Tayyip Erdoğan angekündigte Öffnung gegenüber den Kurden und ihren Anliegen einzugehen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Seither hat es zwar geheime Verhandlungen mit Öcalan und auch mit Vertretern der PKK gegeben, doch es kam nichts dabei heraus. Beide Seiten schieben sich dafür gegenseitig die Schuld zu. Bis zu der Parlamentswahl Anfang Juni hat die PKK einen einseitigen Waffenstillstand auch weitgehend eingehalten, in der Hoffnung, Erdoğan werde nach der Abstimmung wieder auf die Kurden zugehen. Als sich diese Hoffnung schließlich als Illusion herausstellte, nahm die PKK im Sommer ihre Kampagne wieder auf. Erst am Dienstag hatte eine Bombe fünf Polizisten und drei Passanten getötet, darunter zwei Kinder.

Die Antwort des türkischen Staates bestand seit August in zahlreichen Bombenangriffen auf PKK-Ziele im Nordirak. Unterstützung erhielt die Türkei dabei von Drohnen der US-Armee, die Aufklärungsarbeit leisteten. Angeblich sollen bis zu 300 Rebellen dabei getötet worden sein. Doch wie sich nun zeigt, haben die Bombenangriffe die Angriffsfähigkeit der PKK nicht wesentlich beeinträchtigt.

Für den auf beinahe allen anderen Politikfeldern erfolgreichen Erdoğan ist die neue Eskalation der Kämpfe eine schwere politische Herausforderung. Sein Konzept, die Kurdenfrage zu ignorieren, um mithilfe der ultranationalistischen MHP von Devlet Bahceli sein Projekt einer neuen Verfassung in nur neun Monaten durchzuziehen, ist nicht aufgegangen. Das Image des Alleskönners hat eine Delle bekommen.

Erdoğan beschwört „Märtyrer“

Doch Erdogan scheint entschlossen, das Kurdenproblem weiter als reines Terrorproblem zu behandeln, das nur mit militärischen und polizeilichen Mitteln gelöst werden kann. Offenbar in Erwartung weiterer Opfer erinnerte er seine Landsleute daran, dass sie auch im Ersten Weltkrieg einen hohen Blutzoll leisten mussten. Die Türkei sei „ein Land, das auf dem Geist unserer heiligen Märtyrer erbaut wurde“, sagte Erdoğan, der ebenso wie Außenminister Ahmet Davutoğlu eine für Mittwoch geplante Auslandsreise absagte

Auf der Tagesordnung steht nun sicher auch eine größere grenzüberschreitende Aktion des Militärs noch vor dem Winter, schon aus innenpolitischen Gründen. Eine militärische Lösung dürfte sie aber ebenso wenig bringen wie zahlreiche ähnliche Aktionen in früheren Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)

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