Gaddafis Sohn Saif al-Islam will sich Tribunal stellen

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Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes möchte Saif al-Islam Gaddafi verhaften und per Flugzeug nach Den Haag bringen. Saif wolle ein vertrauenswürdiges Land als Vermittler.

Tripolis. In den frühen Morgenstunden des 17. Oktober verließ ein Konvoi von sechs Fahrzeugen Bani Walid, kurz bevor die Wüstenstadt von den Rebellen erobert wurde. Auf der Fahrt ins 120 Kilometer südöstlich gelegene Wadi Zamzam trafen Raketen von Nato-Kampfflugzeugen den Konvoi. Rebelleneinheiten unter dem Kommando von Omar al-Muchtar fanden die zerstörten und ausgebrannten Fahrzeuge. Darunter den gepanzerten Toyota, mit dem Saif al-Islam Gaddafi gesehen worden war.

„Wir waren ihm auf der Spur“, sagte al-Muchtar. „Er muss im gepanzerten Fahrzeug überlebt haben. Jemand hat ihm dann geholfen, zu entkommen. Wir haben die ganze Gegend abgesucht, aber nichts gefunden.“

Dies ist die letzte Spur von Saif al-Islam („Schwert des Islam“) auf libyschem Boden.

Der älteste von sieben Söhnen Muammar al-Gaddafis, der das politische Erbe des Vaters hätte antreten sollen und der an der Wiener Imadec studiert hatte, soll mittlerweile nach Niger geflohen und auf dem Weg nach Mali sein, wo sich bereits Abdullah al-Senussi, der ehemalige Geheimdienstchef unter Gaddafi aufhalten soll.

Gegen beide besteht ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sie sind angeklagt, die Tötung von Demonstranten, die im Februar gegen die Diktatur protestierten, vorsätzlich geplant zu haben. Saif al-Islam wird zudem vorgeworfen, er habe zu diesem Zweck Söldner aus afrikanischen Ländern angeheuert.

Vor der Eroberung Bani Walids hat Saif al-Islam immer wieder betont, er werde „bis zum Tod gegen die Ratten, die Libyen verraten“, kämpfen. Nun soll er Angst um sein Leben haben und bereit sein, sich dem Internationalen Gerichtshof zu stellen. Das berichtete der Nationale Übergangsrat (NTC) in Tripolis: „Er ist um seine Sicherheit besorgt, und das ist seine beste Option.“

Saif verlange aber Garantien. Er wolle ein vertrauenswürdiges Land als Vermittler, das ihm ein Flugzeug organisiert, um an einen sicheren Ort auszufliegen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag bestätigt, dass es informelle Kontakte zum Gaddafi-Sohn gebe. „Wir suchen nach Möglichkeiten, Flugzeuge in bestimmten Ländern bereitzuhalten, wo eine Festnahme erfolgen kann“, zitierte die niederländische Nachrichtenagentur ANP den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), Luis Moreno-Ocampo. IStGH-Sprecher Fadi El Abdallah erklärte, es sei üblich, dass der Gerichtshof gesuchten mutmaßlichen Tätern helfe, die sich stellen wollten.

Chefankläger Moreno-Ocampo sagte dem US-Sender CNN, sein Team habe ausreichend Beweise für schwere Verbrechen von Saif al-Islam Gaddafi zusammengetragen. „Wir glauben, dass wir einen starken Fall haben“, betonte er. „Wir glauben, er sollte verurteilt werden.“

Angst um sein Leben

Man kann sich vorstellen, dass Saif al-Islam Angst um sein Leben hat. Der 39-Jährige bekam die Videos vom Tod seines Vaters und dessen öffentliche Zurschaustellung zu sehen. Saifs Bruder Mutassim, der dem Vater als Sicherheitschef gedient hat, scheint ebenfalls exekutiert worden zu sein.

Bis vor Kurzem waren von Saif al-Islam noch Durchhalteparolen zu hören: Einen Tag nach dem Tod Muammar al-Gaddafis strahlte der syrische Sender Al-Rai eine Stellungnahme von Saif aus: „Wir werden unseren Widerstand weiterführen. Ich bin in Libyen, am Leben und frei. Ich werde bis zum Ende gehen und Rache nehmen.“ Auf einer Pro-Gaddafi-Webseite wurde Saif zum Nachfolger seines Vaters erklärt, der den Widerstand gegen die Rebellen organisiert.

Sind das leere Propagandafloskeln und Durchhalteparolen oder wird Saif tatsächlich den Weg seines Bruders und Vaters bis zum bitteren Ende gehen?

Der Leutnant seiner Leibgarde, Sharif al-Senoussi (keine Beziehung zum gleichnamigen Geheimdienstchef), der bis zur Flucht aus Bani Walid bei Saif war, zeichnet ein wenig heroisches Bild von ihm: „Ein nervöses Wrack, das andauernd Angst hatte, von einer Granate getroffen zu werden.“

Tuareg schützen Gaddafi

Im Wüstengebiet von Niger und Mali werden Saif al-Islam wie auch Geheimdienstchef Senussi von Tuareg-Nomaden beschützt. Einer ihrer Stammesführer bestätigte, dass der Gaddafi-Sohn bei ihnen ist. Die Tuareg arbeiteten als Söldner für das Regime. Muammar al-Gaddafi unterstützte ihre Stämme viele Jahre großzügig. Ohne deren Waffen, Ortskenntnisse und Organisation würden die Flüchtigen keine Überlebenschance haben. Diese Sahararegion ist unüberschaubar und unzugänglich.

Als Mitglieder des Internationalen Gerichtshofs müssten Niger und Mali die beiden ehemaligen Vertreter des Gaddafi-Regimes verhaften und nach Den Haag ausliefern. Wollten Saif al-Islam und Senussi dem Zugriff des Gerichtshofs entgehen, bleibt ihnen in diesem Gebiet im Norden Afrikas nur die Islamische Republik Mauretanien. Sie hat das internationale Abkommen nicht unterschrieben.

Auf einen Blick

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs,
Luis Moreno-Ocampo, bestätigte informelle Kontakte zu dem noch flüchtigen Saif al-Islam Gaddafi. Der Gerichtshof suche nach einer Möglichkeit, Saif nach Den Haag zu bringen. Dem Gaddafi-Sohn werden Morde an hunderten Zivilisten, Folterungen, militärische Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten und Massenvergewaltigungen vorgeworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2011)

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