Wettlauf zum Südpol: "Amundsen, der Sieger"

Wettlauf Suedpol Amundsen Sieger
Wettlauf Suedpol Amundsen Sieger(c) Dapd (AP)
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Vor 100 Jahren ging eines der letzten Heldenepen zu Ende: Der Wettlauf zum Südpol. Der Norweger Amundsen siegte, er war ein Hasardeur, aber mit Bedacht. Er plante sorgsam und verließ sich auf Schlittenhunde.

Beg leave to inform you Fram proceeding Antarctic.“ Dieses Telegramm erhielt Robert Scott am 12.Oktober 1910 in Melbourne, vielleicht war es auch kürzer, der Text ist noch in einer anderen Variante überliefert: „Am going south.“

Aber der Kommandant der „Terra Nova“ verstand in jedem Fall. Das Telegramm kam aus Madeira, vom Kommandanten der „Fram“, Roald Amundsen. Der war als Konkurrent aufgetaucht, aus dem Nichts: Der Brite Scott wollte als erster zum Südpol, der Norweger wollte es auch, er hatte es bis zuletzt geheim gehalten, selbst vor der eigenen Crew. Ihr hatte er den Nordpol als Ziel genannt, dort wollte er zuerst auch hin, aber dann kam die Nachricht, dass US-Amerikaner das Rennen gemacht hatten, gleich zwei, Robert Peary und Frederick Cook. (Die stritten so um die Ehre, dass der US-Kongress entschied, für Peary und gegen Cook, der US-Präsident unterschrieb es.)

„Eine kleine Ecke blieb“, konstatierte Amundsen und warf seine Pläne um: Die Ecke, in der es noch Ruhm zu ernten gab (und Geld: Amundsen wie Scott finanzierten ihre Expeditionen privat), lag im Süden.

Kleine Ecke, große Unbekannte. Sie war natürlich alles andere als klein, so viel war bekannt, ansonsten wusste man nicht einmal, ob das Eis der Antarktis eine Landmasse bedeckte oder Inseln verband. Man kannte auch die Geschichte nicht: Darwin vermutete, dass der Kontinent Antarktika einst eine Landbrücke zwischen Südamerika und Australien gewesen war, denn dort hatte man Fossilien der gleichen Pflanzen gefunden, Glossopteridales. Es blieb lange ungeklärt, das Interesse der Abenteurer und Entdecker kam erst um 1890, der Wettlauf begann, zwischen Deutschen und Briten, dann, 1896, stiegen Belgier ein, mit der „Belgica“. Die steckte fast ein Jahr im Packeis, die Crew erkrankte an Skorbut, verfiel teils in Trübsinn, teils in Aufruhr. An Bord war Amundsen, er lernte aus der Erfahrung, wandte sich aber erst dem Norden zu, meisterte 1903–06 als erster die Nordwestpassage im Eismeer um Russland herum.

Den nächsten Versuch mit der „kleinen Ecke“ im Süden unternahm Scott gemeinsam mit Robert Shackleton, er misslang, die beiden zerstritten sich. Shackleton war 1907 wieder dort, schaffte es fast, musste nur 180 Kilometer vor dem Ziel umkehren.

Das war die Bühne, auf der Amundsens Telegramm den letzten Akt des Dramas einleitete, sie wurde von unterschiedlichen Charakteren bespielt: Amundsen war Abenteurer und Hasardeur, aber mit Erfahrung und Bedacht: Er hatte auf der „Belgica“ gelernt, dass eine Mannschaft in der endlosen Nacht des antarktischen Winters gut genährt und beschäftigt sein muss, er hatte vorgesorgt, gegen Langeweile – 3000Bände umfasste die Schiffsbibliothek – und gegen Skorbut, mit Robbenfleisch und Heidelbeeren. Zudem hatte er lebende Nahrung, die sich mehrfach nützlich machen sollte: Herz der Expedition waren hundert Schlittenhunde aus Grönland, die besten verfügbaren.

Hunde? Motorschlitten! Deren Wert kannte der Norweger, die Briten aber schätzten Hunde gering, Scott schüttelte darüber den Kopf: „Kann es sein, dass ihr Hund den Herren nicht versteht? Oder versteht der Herr den Hund nicht?“ Das war die Schlüsselfrage, an der sich alles entschied: Zwar hatte Scott auch Hunde dabei, vor allem aber setzte er auf sibirische Ponys und Motorschlitten. Der erste versank schon beim Anlanden im Eis, die Ponys waren den Umständen nicht gewachsen.

Ansonsten hatte Scott einen Startvorteil, er konnte die von Shackleton erkundete Route nutzen. Er vertat allerdings Zeit: für die Wissenschaft. Er ließ Expeditionen ausschwärmen, eine geologische – sie fand Fossilien von Darwins Glossopteridales – und eine biologische: In völliger Finsternis kämpfte sie sich 97Kilometer durch die Eiseskälte – um Eier von Kaiserpinguinen einzuholen. Sie brauchte 19Tage.

Amundsen hingegen nutzte die dunkle Zeit, um seine Ausrüstung, Ski und Hundeschlitten, zu optimieren, er bezog auch in einer Bucht Station, die 100km näher am Pol lag. Dann zog er los, beim ersten Licht der wiederkehrenden Sonne, am achten September 1911, er pokerte hoch und verlor: Die Temperatur fiel auf minus 56 Grad, er musste zurück. Als es nur noch minus 25 Grad hatte, zog er wieder los: am 20.Oktober.

Nun suchte er einen Weg durch die Berge, er fand ihn, und auch einen Zugang auf das 3200 Meter hohe Plateau, auf dem der Südpol liegt: Mit vier Begleitern und 45Hunden stieg er einen 58km langen Gletscher hinauf, sieben Hunde gingen verloren. Oben ließ er dann 20 Hunde schlachten, die anderen Tiere und die Menschen ernährten sich auf dem weiteren Weg davon: „Wir nannten den Ort ,Butchers' Shop‘“, erinnerte sich Amundsen später, „es hing Trauer und Depression in der Luft, wir hatten unsere Hunde lieb gewonnen.“

Weiter ging es durch „Des Teufels Gletscher“ und „Des Teufels Ballsaal“, aber die Schrecken des Eises waren nichts gegen etwas, das von der Ferne aussah wie ein schwarzes Zelt: Scott?! Nein, Hundekot, den eine Fata Morgana vergrößert hatte! Dann waren sie dort, am 14.Dezember, nun bauten sie ein schwarzes Zelt auf, nannten es „Polheim“ und hinterließen Vorräte und einen Brief an den norwegischen König, Scott möge ihn doch bitte überbringen.

„Das Schlimmste ist eingetreten. Meine Träume sind dahin“, notierte der am 18.Jänner 1912, als er das Zelt sah, „alle meine Träume sind dahin. Großer Gott, das ist ein schrecklicher Ort.“ Und es gab kein Zurück, Scott ahnte es: „Ich frage mich, ob wir es schaffen werden.“

Selbstmord eines Gentleman.
Zwar kamen er und seine vier Begleiter gut voran, aber dann holten Hunger und Kälte einen nach dem anderen, der Erste starb am 17.Februar, der Zweite verließ am 16.März, in einem Blizzard, das Zelt, er bleibe „eine Weile draußen“. Scott verstand: „Es war die Tat eines mutigen Mannes und eines englischen Gentleman. Wir alle hoffen, dem Ende mit gleicher Haltung zu begegnen, und das Ende ist sicherlich nicht mehr fern.“

Es kam am 29.März – 18Kilometer vor einem rettenden Depot.

Im November wurden die Leichen geborgen, bald fegte die Heldenverehrung wie ein Tsunami über England – „Amundsen, der Sieger, wurde überstrahlt von Scott, dem Märtyrer“, urteilte ein Historiker –, erst in letzter Zeit wurde das Bild von Scott nüchterner. Und das von Amundsen milder: Er verschwand 1928 in der Arktis nahe Spitzbergen beim Versuch, seinen verschollenen italienischen Kollegen Umberto Nobile zu retten. Nobile tauchte wieder auf. Amundsen nicht.

(c) Die Presse / HR

PS: Viele sind derzeit auf Amundsens und Scotts Spuren unterwegs (s.u.), nur Amundsens besten Freunde sind nicht dabei: Auf der Antarktis gilt heute Hundeverbot – Umweltschutz!

Ein großer Südkontinent (Terra australis) wurde seit der Antike vermutet, da die Landmassen großteils auf der Nordhalbkugel liegen und man ein „Gegengewicht“ vermutete. Der russische Kapitän Fabian von Bellingshausen, der Brite Edward Bransfield und US-Robbenjäger Nathaniel Palmer sahen 1820 wohl als Erste den kalten Kontinent. US-Robbenjäger John Davis will ihn 1821 erstmals betreten haben; es war aber eher der Franzose Jules Dumont d'Urville (1840) oder 1895 eine Gruppe Norweger.

Rechtlich gehört der 14 Mio. km2 große Kontinent Antarktika niemandem, er ist Staatengemeinschaftsgebiet und wird laut Antarktisvertrag 1961 von allen daran interessierten Staaten gemeinsam verwaltet. Ca. 30 Länder haben Forschungsbasen. Argentinien, Australien, Chile, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland und Norwegen beanspruchen Gebiete in Form tortenstückartiger Sektoren, wo sie de facto das Sagen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2011)

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