Ein Zankapfel mächtiger Nachbarn

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Die Irak-Invasion hatte massive Folgen für die Region. Großer Gewinner ist der Iran, zum Ärger des Hauptrivalen Saudiarabien. Die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten haben sich nicht gemindert.

Als der irakische Präsident Jalal Talabani, ein Kurde, jüngst bei der offiziellen Verabschiedung der US-Truppen neben dem aus Washington entsandten Vizepräsidenten Joe Biden stand und davon sprach, dass „die Befreiung unseres Landes nicht nur einen wichtigen historischen Wendepunkt für den Irak, sondern für die gesamte Region darstellt“, hatte Talabani mit dieser Einschätzung wohl recht. Denn die Karten wurden nicht nur im Irak, sondern in der gesamten Region neu gemischt.

Vor allem der Iran scheint aus heutiger Sicht der große Gewinner zu sein: Der ehemalige US-Präsident George W. Bush hat mit der Irak-Invasion im Jahr 2003 Teherans Erzfeind Saddam Hussein aus dem Weg geräumt. Vor dessen Fall gab in Bagdad die sunnitische Minderheit den Ton an, heute sind es die Vertreter der schiitischen Bevölkerungsmehrheit. Vor allem Premierminister Nouri al-Maliki genießt das Vertrauen Teherans und hat engste Kontakte zur iranischen Führung. Zudem ist Muktada al-Sadr, der Anführer der schiitischen „Mehdi-Miliz“, die in der Zeit des irakischen Bürgerkrieges sowohl die sunnitische Bevölkerung als auch die US-Besatzer terrorisiert hatte, Anfang des Jahres aus seinem Exil in der iranischen Pilgerstadt Qom zurückgekehrt. Dort hatte er sich zum Ayatollah ausbilden lassen. Muqtada al-Sadr ist also eine weitere Garantie für den Einfluss Teherans.

Ursprung sunnitisch-schiitischer Rivalität

Saudiarabien beobachtet diese Entwicklung mit größtem Missvergnügen: Der wachsende Einfluss Teherans verstört das sunnitische Königshaus. Der Irak könnte zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen den beiden mächtigsten Rivalen in der Region werden. Diese Rivalität ist nicht nur eine um Öl – Saudiarabien fördert zehn Millionen Barrel täglich (das ist eine Million Barrel mehr, als China pro Tag benötigt), der Iran 4,2 Millionen (etwas weniger als der Tagesverbrauch Japans) – es geht auch um Geistliches: Die Spaltung in die zwei wichtigsten islamischen Glaubensrichtungen – Sunniten und Schiiten – geht auf die Schlacht von Kerbela im Jahr 680 zurück. Kerbela liegt heute auf irakischem Boden.

Auch der Konflikt in Syrien ist unter anderem wohl ein Stellvertreterkrieg zwischen diesen beiden Mächten: Gelingt es den Regimegegnern, Diktator Bashar al-Assad zu stürzen, dann wäre vor allem Saudiarabien der große Gewinner. Der Iran hingegen würde seinen einzigen arabischen Verbündeten verlieren und hätte nicht mehr länger seinen Fuß in der arabischen Tür, auch die Verbindungslinien in den Libanon zur Hisbollah-Miliz wären abgeschnitten.

Der irakische Präsident Talabani meinte, dass das Ende der Diktatur im Irak den Menschen in der gesamten arabischen Welt Mut gegeben habe und somit eine Art Vorbote des Arabischen Frühlings gewesen sei, der acht Jahre später die Region umpflügte. Und in Washington kann man sich immerhin damit trösten, mit der Invasion einen der rücksichtslosesten Diktatoren des Nahen Ostens von der Macht vertrieben zu haben.

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Hätten die USA einfach nur warten müssen?

Es gibt aber auch eine andere Lesart: Demnach habe es den USA an Geduld gefehlt. Saddam Hussein wäre es nach dieser Interpretation irgendwann ebenso ergangen wie dem tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali, dem ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak und dem libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi im schicksalshaften Jahr 2011. Er wäre vielleicht wie sie hinweggefegt worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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