Tabakfabrik Linz: Von der Tschickbude zum Kreativareal

Tabakfabrik Linz Tschickbude Kreativareal
Tabakfabrik Linz Tschickbude Kreativareal(c) APA (Austria Tabak)
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Die Stadt Linz hat mit dem Kauf der Tabakfabrik den Peter-Behrens-Bau vor kommerzieller Ausschlachtung bewahrt. Jetzt soll mit Chris Müller das Areal zum kreativen Stadtteil gemacht werden.

Chris Müller bittet um einen Moment Geduld. Er will sich nur schnell etwas anderes anziehen – fürs Foto, „sonst schimpft die Oma wieder“, sagt der Künstler und eilt in sein neues Büro im fünften Stock der Tabakfabrik Linz. Ein paar Minuten später ist die schwarze Arbeiterjacke gegen Hemd, Sakko und Ledermantel getauscht. „Das ist mein Behrens-Mantel“, sagt er, während er für den Fotografen posiert, und ist damit schon mitten im Thema.

Peter Behrens heißt nämlich jener Architekt, dem die Linzer die Tabakfabrik – und somit ein Stück Stadtgeschichte – verdanken. Das Fabrikgebäude aus den Dreißigerjahren ist als erster großer Stahlskelettbau Österreichs – mit 230 Meter langen Räumen – nicht nur aus architektonischer Sicht eine Besonderheit. Es spielte auch als Arbeitgeber für die Linzer eine große Rolle. Im letzten Jahrhundert war die „Tschickbude“, wie sie von den Einheimischen genannt wird, so etwas wie der Stolz der Stadt. „Wenn man da gearbeitet hat, war das was“, sagt Müller.

Auch in Zukunft soll das Gebäude für Linz eine wichtige Rolle spielen – und diese um einen neuen, kreativen Stadtteil erweitern. 2009 hat die Stadt das Areal mit einer Nutzfläche von 80.000 Quadratmetern von der Austria Tabak um 20,4 Millionen Euro gekauft. Die Austria Tabak gehörte damals schon der Japan Tobacco International, die sich dazu entschlossen hat, den Betrieb 2009 einzustellen. „Zu Beginn, also in den Dreißigerjahren, haben da an die 1000 Leute gearbeitet, am Schluss waren es rund 250. Um einen Jahresumsatz haben sie das Ganze verkauft“, sagt Müller, der ebenso wie viele Linzer über diese Einsparungsmaßnahme nicht ganz glücklich war. „Ich komme aus Hausruck, bin ein Kind einer Bergarbeiterfamilie. Ich weiß, was es für die Bewohner heißt, wenn einfach ein großer Betrieb zusperrt.“

Für ihn selbst war die Schließung der Tabakfabrik aber dann doch nicht so schlecht. Müller, der eigentlich Bildhauer, Künstler und Theaterintendant ist – aber auch schon Tischler oder Roadie bei Bands wie „Die Ärzte“ oder „Faith No More“ war – hat seit Anfang des Jahres nämlich einen neuen Job. Und zwar einen, der ihm offensichtlich Spaß macht. Er ist für die Koordination der Zwischennutzung des Areals zuständig – Ende 2013 will die Stadt wissen, was genau denn dort alles umgesetzt werden soll. Für 2015/2016 ist die komplette Nutzung des Areals geplant.


Keine Verramschung wie im MQ. Wie seine Berufsbezeichnung lautet, weiß Müller eigentlich nicht. „Keine Ahnung, manche sagen Intendant, Koordinator oder Dramaturg. Aber eigentlich ist es ein Managementjob. Es hat aber auch viel mit der Bildhauerei zu tun, statt Hammer und Meisel arbeitet man mit Menschen und formt das Ganze. Das Areal hat ein irrsinniges Potenzial“, sagt er, während er mit einem großen Schlüsselbund in der Hand durch das Gebäude führt. Bei 80.000 Quadratmetern kann das schon ein paar Stunden dauern. Das hinderte ihn anfangs nicht daran, so gut wie jeden Interessenten durch die Tabakfabrik zu führen. Mittlerweile hat er dafür ein Konzeptpapier erarbeitet, das die Suche erleichtern soll, und auch eine Assistentin hat er bekommen.

Anfragen für die Nutzung gab es schon vor seiner Tabakfabrik-Intendanz viele – an die 20 pro Monat. Jetzt sind es vier bis fünf pro Tag. Von Theatergruppen über Filmproduktionen und Veranstaltungen bis zu temporären Büros steht die Tabakfabrik so ziemlich allem offen – sofern es ins Konzept passt, das sich grob mit „kreativ und sozial“ umschreiben lässt. Müller will darauf achten, das Ganze nicht zu „verramschen“ und kann sich dabei einen Seitenhieb auf das Wiener Museumsquartier – das übrigens um 20.000 Quadratmeter kleiner ist – nicht verkneifen. „Das funktioniert zwar, die Frage ist aber nur, wie es funktioniert. Ein bisschen weniger Eisstockschießen und Glühwein könnten nicht schaden.“

In der Tabakfabrik war etwa schon die Ars Electronica zu Gast – mit einem Besucherrekord von 90.000 Menschen –, ebenso wie die Preisverleihung des Werbepreises Caesar oder die Premiere eines Elfriede-Jelinek-Stücks. „Da ist mitten im Stück die Heizung ausgefallen“, sagt Müller, der sich nicht nur um Inhaltliches kümmert, sondern auch um ganz pragmatische Dinge – wie etwa die Heizkosten. Die sind bei einem derart großen Gebäude natürlich sehr beachtlich und für kleinere Gruppen schlicht zu hoch, auch wenn man ihnen entgegenkommt.


Täter statt Theoretiker. So ist etwa die Miete der Lösehalle, in der früher die Tabakblätter vom Strunk gelöst wurden, nicht für alle gleich. Will ein Wirtschaftsunternehmen die Halle für eine Veranstaltung mieten, kostet das 5000 Euro. Der Kulturtarif liegt mit 500 Euro erheblich drunter. „Die Heizkosten dafür liegen aber bei 700 Euro, das können wir nicht machen, das wäre versteckte Subventionierung.“ Also ist Müller gerade dabei, eine Ölheizung, die in der Stunde nur fünf Euro kostet, aufzutreiben. Ähnlich hat er das mit den Möbeln gemacht, die derzeit im fünften Stock des Bauteils eins stehen. Ein Möbelhändler, dessen Lager aus allen Nähten platzt, hat seine Ware in der Tabakfabrik zwischengelagert, wo sie aber auch verwendet wird. „Dadurch verkauft er mehr, weil einige Leute nachfragen und die Stücke haben wollen“, sagt Müller, der sich selbst „keinen Theoretiker, sonder Täter“ nennt.

Die Zwischennutzung soll aber, wie bei Projekten dieser Größe üblich, nicht nur eine Art Probebetrieb sein, der vielleicht auch ein bisschen Geld hineinbringt, sondern auch einen Hinweis geben, in welche Richtung es mit der alten Fabrik in Zukunft gehen kann. Und ganz nebenbei wird durch die verschiedenen Dinge, die in der alten Fabrik schon jetzt stattfinden, automatisch die Assoziation „kreatives Grätzel“ mit der Tabakfabrik verbunden. Müller will auf jeden Fall vermeiden, dass das Gebäude ein Elfenbeinturm der Kunst wird. Immerhin gehöre die Fabrik „uns, den Steuerzahlern“, sagt er. Deshalb sei es wichtig, auch jene dorthin zu locken, die ansonsten mit Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft wenig anfangen können.

Im nicht denkmalgeschützten Zubau des Areals sind schon die ersten Firmen angesiedelt. Die Förderstelle „Creative Region Linz & Upper Austria“ ist dort ebenso untergebracht wie die Ars Electronica Solutions, eine Abteilung der Messe für Multimedia und elektronische Musik, die Projekte der Ars Electronica von Prototypen zur Serienreife bringt. Kaum eine Firma würde derzeit wohl besser dorthin passen.

Ab Juli sollen auch die Bauteile eins und zwei (temporär) besiedelt werden. So mietet sich etwa das Bauunternehmen Alpine bis Ende März 2014 im Bauteil eins mit 150 Mitarbeitern ein. Im Bauteil zwei werden ebenfalls ab Juli drei Unternehmen aus der Kreativbranche einziehen: das Architekturbüro Kleboth Lindinger, der IT-Berater Netural und ein drittes Unternehmen, das noch nicht genannt werden will. Weitere Anfragen von Initiativen und Firmen werden noch geprüft.


Schlafen wie ein Rockstar. In Sachen Veranstaltungen und Kultur tut sich ebenfalls einiges. Derzeit werden in den 230 Meter langen Räumen Installationen von Hannes Langeder, der auch gerade im Wiener Künstlerhaus ausstellt, gezeigt. Buchpräsentationen (Franzobel, 1. März) stehen ebenso am Plan wie Theaterstücke oder ein Open-Air-Konzert (Parov Stela, 2. Juni). Ende Juni läuft im Zubau eine große Porsche-Ausstellung an.

Sobald es wärmer wird, will Müller Tourbussen, die ansonsten Rockstars chauffieren, im Innenhof einen Stellplatz bieten und das Ganze unter dem Motto „Schlafen wie ein Rockstar“ als temporäres Hotel anbieten. Dort schläft man dann gleich neben dem Herzstück des Areals, dem Kraftwerk, das die Fabrik mit Strom versorgte. Im unteren Stock des Gebäudes soll ein Restaurant einziehen. Der obere Stock, wo noch große Kessel und Maschinen vor „Rauchen erlaubt“-Schildern stehen, wird zum Veranstaltungssaal.

Bleibt nur noch die Frage offen, ob auch eine Universität in die alte Fabrik einziehen wird. Von 1995 bis 2005 war schon die Kunstuni Linz am Areal untergebracht. Müller hat dort Bildhauerei studiert und während seiner Studienzeit in einem Wohnwagen vor der Uni gewohnt. „Den Strom hab ich vom ÖH-Café bekommen, dafür die Klos geputzt.“ Nicht nur deshalb will er, dass die Kunstuni wieder einzieht. „Die muss wiederkommen – mit schönem Gruß an den Reinhard Kannonier, den Rektor“, sagt Müller und entledigt sich seines Behrens-Mantels. Nach dreistündiger Führung und Überwindung unzähliger Treppen braucht er den jetzt nicht mehr.

1928 bis 1935
Neubau der Tabakfabrik, die seit 1850 besteht, durch die Architekten Peter Behrens und Alexander Popp.

2009
Wird der Betrieb eingestellt. Die Japan Tobacco International, der mittlerweile die Tabak Austria gehört, verkauft das Areal an die Stadt Linz (20,4 Mio Euro).

2015/2016
Vollnutzung des Areals geplant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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