Neulich, im Gasthaus zur galoppierenden Geldentwertung

Die Weltbank lobt das „europäische Modell“, empfiehlt aber, für dessen Erhalt mehr zu arbeiten. Arbeitsscheue Bürger sind allerdings das geringere Problem.

Europa blickt dieser Tage wieder besonders gern nach Amerika. Erfreulich ist für viele Bewohner des wohlhabendsten Teils der Erde nicht nur, dass in den Reihen der Republikaner noch kein Herausforderer zu erblicken ist, der Barack Obama wirklich gefährlich werden könnte. Womit dem politischen Darling der Europäer eine weitere Amtszeit sicher scheint.

Ziemlich freuen wird viele Europäer aber auch, dass in den USA die Begeisterung für den „europäischen Weg“ wächst. So lobt die in Washington ansässige Weltbank in einer Studie nicht nur den hohen ökonomischen Standard Europas, sondern auch den lebensphilosophischen Zugang: Während US-Bürger lebten, um zu arbeiten, würden Europäer arbeiten, um zu leben. Und das, so urteilen die Experten der Weltbank sinngemäß, sei ja nicht das Schlechteste.

Womit sie zweifellos recht haben. Der Sinn wachsender Produktivität ist ja, in weniger Arbeitszeit mehr Wohlstand zu schaffen, um mehr Zeit und Geld für jene Dinge zur Verfügung haben, die das Leben noch schöner machen.

Nicht ganz falsch liegen die Weltbank-Experten auch mit ihrer offenen Kritik, wonach es die Europäer mit ihrem „Dolce far niente“ vielleicht ein wenig übertrieben hätten. Wir, so befindet Washington in aller Höflichkeit, sollten wieder etwas mehr „hackeln“, um unser Wohlstandsniveau nachhaltig abzusichern. Und ja: Nirgendwo in der industrialisierten Welt sind die Jahresurlaube länger und die Wochenarbeitszeiten kürzer als in Europa, so, wie auch nirgendwo jünger in Rente gegangen wird.

Nun wäre es eine gute Idee, ein paar Stunden Freizeit für den Erhalt eines Systems zu opfern, das jene auffängt, die arbeiten wollen, aber nicht können. So banal ist die Sache jedoch nicht. Der „europäische Weg“ wird nämlich weniger von arbeitsscheuen Bürgern verstellt, sondern vielmehr von jenen, die das europäische Modell in seinem Grundsatz nicht mehr verstehen. Sie verwechseln ein allein auf intellektueller und ökonomischer Leistungsfähigkeit seiner Bürger beruhendes Solidarsystem mit einem prall gefüllten Bankomaten, der von jenen geleert wird, die ihren Traumjob nicht finden können.

Das Missverständnis Europa offenbart sich nicht zuletzt an den eindringlichen Warnungen vor den verheerenden Verwüstungen, die „harte Sparprogramme“ der Nationalstaaten nun anzurichten drohen. Dabei ist unbestritten, dass Europa vor allem Wachstum braucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber zu glauben, dieses Wachstum könne von kreditfinanzierten Staatsausgaben kommen, ist Sinnbild jenes Irrweges, den Europa seit Jahrzehnten mit festem Tritt beschreitet. Ein Irrweg gepflastert mit sozialen Segnungen, die nicht zu bezahlen sind. Gespendet von zweifelhaften Politikern, die das Wohl des Staates propagieren, aber die eigene Wiederwahl meinen.


Also genießt Europa heute ein Wohlstandsniveau, das nicht erwirtschaftet wurde, sondern geliehen ist. Wenn das geborgte Geld nicht zurückgezahlt werden kann, weil über beide Ohren verschuldete Staaten von einer Finanzkrise an den Rand des Abgrunds gedrängt werden, gibt es genau zwei Möglichkeiten: Die Wohlstandsillusion wird korrigiert, mit dem Risiko, die Konjunktur weiter zu schwächen. Oder: Die Schuldenparty wird prolongiert, um das Wachstum hochzuhalten. Verbunden mit dem Risiko, dass mit den Schuldenbergen auch die Zinslast wächst, wodurch der Staatshaushalt noch stärker unter Druck kommt und man erst recht bei Option eins landet.

Deshalb versucht es Europa mit Option drei: Sie lässt in den Kellern der Europäischen Zentralbank Geld drucken, mit dem Großbanken günstig europäische Staatsschulden aufkaufen, um ein „Kaputtsparen“ zu verhindern. Europa hat damit den bequemen, aber brandgefährlichen Weg genommen. An dessen Ende wartete auf die vergnügte Wanderschaft bis dato nämlich noch immer das „Gasthaus zur galoppierenden Geldentwertung“. Aber wer weiß, vielleicht ist es dieses Mal ja anders. Zu hoffen wäre es, zumal wenig dafür spricht.

Vielmehr scheint der Glaube an eine alles gutmachende staatliche Alchimie Europas Wohlstand stärker zu bedrohen als zu kurze Arbeitszeiten. Zumal diese Alchimie nicht die Lösung des Problems ist. Sondern deren Ursache

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2012)

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