Der Musikzoo geht mit der Zeit

(c) EPA (ADRIAN RUIZ DE HIERRO)
  • Drucken

Die an Bedeutung verlierende internationale Musikmesse Midem passt sich den veränderten Gegebenheiten des Musikmarkts an und stellt Start-ups und Livemusik in den Vordergrund.

Mika Vember will nicht unhöflich sein. „Aber es ist ein bisschen so, als ob man in den Zoo gehen würde. Eine Musikmesse ist so retro, finde ich“, sagt die 32-jährige Musikerin, die in der Sparte Singer/Songwriter tätig ist. Besuchen wird sie die Midem, die weltweit größte Musikmesse, die dieses Wochenende in Cannes stattfindet, aber dennoch. Immerhin ist Mika Vember dort gemeinsam mit drei Kollegen – !DelaDap, Herr Tischbein und das Danubia Saxophon Quartett – Teil der Österreich-Fraktion, die das kleine Musikland präsentieren soll.

Ganz unrecht hat Vember mit ihrem Retrovergleich aber nicht. Denn die Zeiten, als die Midem – ohne Internet und Handy – die einzige Möglichkeit war, sich international zu vernetzen, sind längst vorbei. „Damals galt: Wenn du nicht auf der Messe bist, lebst du auch nicht mehr“, sagt dazu Mario Rossori, der für die Organisation des Österreich-Standes zuständig ist. Das machte sich damals – also in den 1980er- und 90er-Jahren – auch außerhalb des Messegelände bemerkbar. Die umliegenden Hotels an der Côte d'Azur – besser gesagt deren Bars – konnten sich vor Andrang nicht mehr retten. Immerhin wurden auch oder gerade in dieser Branche die besten Geschäfte bei einem Bier oder härteren Spirituosen gemacht. „In den letzten Jahren waren die Hotelbars aber leer, da war niemand mehr“, sagt der Musikproduzent. Das wird auch anhand der Besucherzahlen deutlich. Von den früheren 10.000 bis 15.000 Besuchern wagen die Veranstalter nicht einmal mehr zu träumen. 2011 waren es nur noch 6.850 Besucher.


Apps, Spiele und echte Menschen. Auf der seit 1963 bestehenden Fachmesse dürfte sich aber heuer dennoch einiges ändern. Dass der neue Leiter der Messe, Bruno Crolot, selbst aus der IT-Branche kommt, deutet die Richtung an, in die es gehen soll. Zwei wichtige Schwerpunkte hat die Midem heuer auserkoren, die beide als Reaktionen auf die veränderten Bedingungen des Musikmarkts verstanden werden können. Einerseits ist den Midem-Machern längst klar, dass das Musikgeschäft weit über die Musikindustrie hinausgeht – digitale Distributionswege, Apps und Onlinespiele sind dabei nur ein paar Stichwörter. Und andererseits werden genau deshalb die Musiker selbst wieder verstärkt in den Vordergrund gerückt. So soll es neben zahlreichen Workshops, Vorträgen und Diskussionen wieder mehr Livemusik geben. Und: Damit neben Agenturen, Labels, Distributoren und Start-up-Unternehmen auch mehr Künstler vertreten sind, wurden auch die Eintrittspreise für Letztere um mehr als die Hälfte (auf 295 Euro) reduziert.

Ein Beispiel für die Breite des Begriffs „Musikmarkt“ ist die Teilnahme des von „aws impulse“ geförderten Start-up-Unternehmens Spectralmind, das sich auf die Musiksuche im Internet und dessen Visualisierung spezialisiert hat. Firmengründer Thomas Lidy wird darüber einen Vortrag halten.

Oder die Präsentation der neuen Social Music Games der französischen Firma MXP4. Beim neuen Spiel „Bopler Tap Tour“ kann der User etwa virtuell Rockstar spielen und alle Stationen dieser Laufbahn – inklusive Manager, Welttournee und Austausch mit den Fans via Facebook – durchleben.


Starthilfe für Kruder&Dorfmeister. Trotz sinkender Bedeutung ist die Midem nach wie vor eine gute Testwiese für neue Entwicklungen. So wurde etwa der erste MP3-Player auf der Midem vorgestellt. „Anfangs hat es noch geheißen: Wozu brauch ma das?“, erinnert sich Rossori. Nicht nur für technische Entwicklungen kann die Midem eine Starthilfe sein, sondern auch für Musiker. Auf die Frage, was denn den Musikern, die nicht einmal eine Gage für ihre Konzerte bekommen, die Teilnahme bringt, meint Rossori nicht ohne Stolz: „Ich weiß nicht, ob ich schuld daran bin, dass Kruder&Dorfmeister so erfolgreich sind, aber sie hatten einen ihrer ersten Auftritte auf der Midem“, sagt Rossori, der auch für die Auswahl der sich präsentierenden Musiker zuständig ist.

Das kleine Musikland setzt übrigens nicht nur bei der Midem, bei der rund 80Nationen vertreten sind, auf österreichische Gastlichkeit. Gratiskaffee ist am Österreich-Stand ebenso üblich wie Weinverkostungen. „Das ist das Eintrittsticket, damit die Leute kommen. Es liegt aber an uns, dass sie auch bleiben, wenn der Wein schon ausgetrunken ist“, sagt Heinrich Schläfer, der für die Koordination der Österreich-Stände bei kleineren Messen, etwa der „jazzahead“ (Bremen), „womex“ (Kopenhagen) und „classic:next“ (München) zuständig ist. Er ist ebenso wie Rossori davon überzeugt, dass Musikmessen nicht ganz ihre Bedeutung verlieren werden. „Denn wenn du dir nicht einmal das Ticket, den Flug und das Hotel leisten kannst, warum sollst du meine Rechnung dann zahlen können“, meint Rossori.

Mika Vember will bei der Midem in erster Linie Kontakte pflegen und ihr Netzwerk ausbauen. Internationale Booker etwa könnte sie derzeit gut brauchen. Auch will sie sich ein bisschen umschauen, was sich denn sonst so tut – und vor allem ihr Konzert spielen. Denn davon ist die Niederösterreicherin überzeugt: Gerade in Zeiten, in denen das Musikmachen dank leichter zugänglicher Technik und Distribution im Internet viel mehr Menschen möglich ist, wird eines immer wichtiger: die Beziehung zwischen Künstler und Fan. Und die muss nicht nur virtuell gepflegt werden. „Früher hat es gereicht alle paar Jahre ein Album herauszubringen. Die Fans haben geduldig gewartet.“ Heute hingegen müsse man am Ball bleiben, indem man etwa öfter Singles produziert.

Das Musikerdasein ist also härter geworden, was aber nicht unbedingt schlecht sein muss. Immerhin führt es dazu, dass sich Musiker auf ihre Kernkompetenz konzentrieren.

Midem

Von 28. bis 31. Jänner findet die Midem, die internationale Fachmesse für die Musikbranche, in Cannes statt. Die Messe wurde 1963 gegründet, seit 1966 tagt sie jährlich an der Côte d'Azur. Heuer rechnet man mit knapp 8.000 Teilnehmern aus rund 80 Ländern.

Österreich-Stand
Der gemeinsame Auftritt von 33 österreichischen Labels wird im Rahmen von „Go International“ von der WKÖ und dem BMWFJ unterstützt. Vier Bands treten live auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.