Behinderte: Die meistgehasste Schule bleibt bestehen

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Das Unterrichtsministerium hält an der Sonderschule weiterhin fest. Gegner sehen einen Verstoß gegen die UN-Konvention. Integration oder separate Einrichtung: Was ist das Beste für ein Kind mit Behinderung?

Wien. Das Unterrichtsministerium hält an den Sonderschulen fest. Es sind die „realen Notwendigkeiten“, die es derzeit unmöglich machten, dass behinderte Kinder nur noch gemeinsam mit  nicht-behinderten Kindern unterrichtet werden. Allem voran das Geld. Der Bekanntgabe folgte vergangene Woche die Kritik auf dem Fuß („Die Presse“ berichtete). Für die Lebenshilfe widerspricht der separate Unterricht klar den Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention.

Auch aus den Reihen der ÖVP kommt scharfe Kritik: „Ich finde es höchst befremdlich, dass man eine Schule für alle haben möchte, aber behinderte Kinder ausgesondert bleiben sollen“, sagt Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg. Auch die Grünen treten seit Langem für die Abschaffung des „Systems der Ausgrenzung“ ein. Tatsächlich sprechen aber nicht nur die Kosten des Integrationsunterrichts gegen eine Abschaffung der Sonderschulen – sondern auch die Nachfrage: Eltern glauben oft, dass ihr behindertes Kind gerade dort die beste Form der Betreuung bekommt.

Was ist besser für das Kind?

Laut Gesetz können Eltern frei wählen, ob ihr Kind in integrativer Form unterrichtet wird oder an eine Sonderschule kommt. Wobei die neue Form des integrativen Unterrichts – die Inklusion – einen Paradigmenwechsel darstellt: Ziel soll nicht der Schüler am Rand der Klasse sein, der zwar da ist, aber von einer anderen Lehrerin in anderen Dingen unterrichtet wird, sondern die Bildung einer heterogenen Lerngruppe, in die jeder etwas anderes einbringen kann. Das Kind mit Down-Syndrom kann etwa den Baum zeichnen, über dessen Bewohner die anderen Kinder einen Aufsatz schreiben. Unter optimalen Voraussetzungen ist das sicher der beste Weg. Doch: Selbst in Wien, wo die Eltern noch freier zwischen Sonderschule und inklusivem Unterricht wählen können als in den anderen Bundesländern, entscheiden sich 40 Prozent für die Sonderschule. Sind die Eltern einfach nicht in der Lage zu erkennen, was das Richtige für ihr Kind ist?

„Subjektiv wollen alle Eltern das Beste für ihr Kind“, sagt Albert Brandstätter, Geschäftsführer der Lebenshilfe. Ob sie das letztendlich auch erreichen, könne er nicht sagen. Oft hätten Familien das Gefühl, ihr Kind werde in einer Sonderschule besser geschützt. „Aber man soll Menschen mit Beeinträchtigung nicht immer behüten“, sagt Brandstätter. Das Ziel müsse sein, Menschen mit Behinderung die Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen.

Proteststurm wegen Schließung

Für viele Eltern stellt sich die Frage allerdings anders dar. Deshalb hat die angekündigte Schließung einer Sonderschule in Klagenfurt, die offenbar sehr gut geführt wird, zu einem Proteststurm geführt. „Bei der Integration sehen wir, dass viele Kinder mit den Rahmenbedingungen nicht zurecht kommen“, sagt der Schulleiter Heinrich Burgstaller. Das seien häufig mehrfach behinderte Kinder – auch wenn die Form der Behinderung nicht die größte Rolle spielt. Entscheidender sei die psychische Belastbarkeit. In inklusiven Klassen gäbe es mehr Stress: Mehr Kinder, häufigerer Personenwechsel, teils überforderte Lehrer. „Das macht es den Kindern schwer, sich atmosphärisch wohl zu fühlen“, sagt Burgstaller. Er kritisiert auch das Vorgehen in Kärnten: Die Inklusion mit einer Schließung zu beginnen, sei nicht zielführend. Zuerst müsse ein Gesamtkonzept entwickelt werden, damit man Schritt für Schritt umsetzen könne. Denn bei der geplanten Einrichtung von Kleinstklassen in Regelschulen statt der Sonderschule könnte es sich um eine „Alibiaktion“ handeln. Diese hätten keinen integrativen Charakter – und seien wohl einfach billiger als Sonderschulen.

Ein Programm für alle Kinder

Inklusion als einzige Möglichkeit, behinderte Kinder zu unterrichten? Die deutsche Bildungswissenschaftlerin Elsbeth Stern hat prinzipiell Bedenken, wenn Programme entwickelt werden, die für alle Kinder passen müssen. „Man schaut nicht, welche Probleme es geben kann. Man sagt, es ist ein Anspruch der Gesellschaft, Behinderte möglichst zu integrieren, und da hat jeder mitzuarbeiten“, kritisiert sie. Es gebe natürlich auch Formen der Behinderung, bei denen das Kind etwas anderes lernen müsse als die anderen Kinder – wie etwa die Blindenschrift (siehe auch Artikel unten). Natürlich gebe es auch Kinder, die den Unterricht stören.

Sterns Fazit: „Man muss für alle Probleme viele Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung haben.“ Sonderschulen in Österreich sind aus vielen Gründen kritikwürdig. Nicht zuletzt wegen des hohen Ausländeranteils, der dafür spricht, dass hier auch manche nicht-behinderte Kinder aussortiert werden. Doch eine Abschaffung wäre noch zu früh, denn eines bietet das derzeitige Schulsystem sicher nicht: größte Flexibilität.

Auf einen Blick

Im Jahr 2010 hatten von 600.000 schulpflichtigen Kindern 28.468 sonderpädagogischen Förderbedarf. Fast die Hälfte von ihnen besuchte eine Sonderschule. Der Anteil an integrativem Unterricht variiert nach Schultyp: Volksschulen 1,8 Prozent, HS 3,7 und NMS 4,2 Prozent.

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