Unterricht für Blinde: Fühlen statt sehen

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Es gibt keine Kreiden, Tafeln oder Füllfedern – sondern Punktschrift, Computer und ausgestopfte Bären: der Schulalltag von sehbehinderten Kindern in Österreich. Das Erleben ist im Unterricht besonders wichtig.

Wien. Zwei Matten, eine Sprossenwand. Im Sportunterricht wird daraus eine Gletscherspalte gebastelt. Die Kinder klettern rauf, rutschen den Spalt herab. So erleben sie, was eine Gletscherspalte ist – denn sehen können sie sie nicht. Die sechs Kinder der zweiten Volksschulklasse sind blind; im ersten Moment aber von keiner anderen Schulklasse zu unterscheiden. Da gibt es das Mädchen, das schmollend in der Ecke sitzt, weil es nicht mitturnen will. Und natürlich auch den Klassenclown, der in Zaum gehalten werden muss.

Dabei ist die Schule in der Wiener Wittelsbachstraße etwas Besonderes: Sie ist die einzige Institution Österreichs, die von Frühförderung bis zur Polytechnischen Schule eine große Auswahl an Schulstufen anbietet – für Blinde oder sehbehinderte Kinder. 140 Schüler besuchen diese Einrichtung. Im Rest des Landes werden für blinde Kinder nur kleine Schulen oder einzelne Abteilungen angeboten.

An diesem Tag lernen die Schüler Begriffe, die zur Jahreszeit passen: Vom Schneefall bis zum Skifahren – und die Gletscherspalte eben. Im Deutschunterricht wird dieser Schwerpunkt fortgesetzt. „Wichtig ist, dass die Kinder die Begriffe verstehen. Sehenden kann man ein Bild oder ein Video zeigen. In diesem Fall geht das aber nicht“, sagt Lehrerin Eva Hannemann. Es bestehe die Gefahr, dass Schüler zwar die Worthülse lernen, aber den Inhalt nicht begreifen: „Einmal sollten Schüler einen Aufsatz über Wintersportarten schreiben. Ein Mädchen beschrieb, wie es einen Berg herabfuhr – allerdings in Schlittschuhen. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass das nur auf ebenen Flächen geht“, sagt Hannemann. Das Erleben ist im Unterricht besonders wichtig. Deshalb besitzt die Blindenschule sogar einen ausgestopften Bären.

Geschrieben wird in den unteren Klassen auf einer Art Schreibmaschine, dem Perkins-Brailler. Für die Punkte der Blindenschrift gibt es sechs Tasten – dazu eine für Leerzeichen und eine, um eine Stelle zurückzugehen. „Wenn wir was falsch getippt haben, können wir es nicht löschen. Dann schreiben wir einfach sechs Punkte darüber“, sagt der Schüler Maximilian. So wie Sehende oft ein X über falsche Buchstaben setzen.

Schulbücher in Blindenschrift

Sind die Kinder etwas älter, schreiben sie auf einem Computer. Wie die Kinder der zweiten Hauptschulklasse: Sie beherrschen das Zehn-Finger-System perfekt. Eine Leiste unter der Tastatur zeigt den Text in Punktschrift an. 10.000 bis 20.000 Euro kostet eine solche Arbeitsstation. Ansonsten findet der Unterricht so statt wie in jeder anderen Schule. Der Lehrplan ist derselbe, die Schulbücher werden auf Bestellung in Blindenschrift gedruckt.

Neben den üblichen Unterrichtsfächern wird allerdings auch das Gehen mit Blindenstock oder das Essen mit Besteck trainiert. Was aber nicht heißt, dass Sonderschulen für jedes blinde Kind das Richtige sind, so Hannemann: „Wichtig ist, dass Eltern Wahlfreiheit haben. Kinder können beim integrativen Unterricht auch darunter leiden, dass sie anders als ihre Mitschüler lesen und schreiben lernen. Das kommt aber auf den Einzelfall an.“

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