Proteste treiben Rumäniens Premier Boc aus dem Amt

Proteste gegen Sparkurs treiben
Proteste gegen Sparkurs treiben(c) EPA (ROBERT GHEMENT)
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Die liberaldemokratische Regierung war seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik.
Präsident Basescu nominiert Auslandsgeheimdienstchef Ungureanu zum neuen Ministerpräsidenten.

Bukarest. Er wolle die „soziale Situation entspannen": Mit diesen Worten hat der rumänische Premier Emil Boc am Montagmorgen den Rücktritt seiner Mitte-rechts-Regierung bekannt gegeben, nachdem Sozialproteste seit Wochen das Land erschüttern. „Wir haben schwierige Entscheidungen getroffen, nicht, weil wir es wollten, sondern, weil sie wesentlich für die Zukunft Rumäniens waren", fügte Boc hinzu. „Eine neue Regierung kann jetzt die Früchte unserer Arbeit genießen und populärer sein."

Seit ihrem Amtseintritt vor mehr als zwei Jahren hatte Bocs rechtsliberales Kabinett einen drastischen Sparkurs verfolgt, der in Westeuropa nur schwer vorstellbar gewesen wäre und der teils über die Empfehlungen und Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) hinausging.

Sämtliche Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor wurden um ein Viertel gekürzt, zahlreiche Sozialleistungen und Stellen gestrichen, und die Mehrwertsteuer wurde um fünf Prozentpunkte erhöht. Seitdem befanden sich die Popularitätswerte der Regierung stets unter der 20-Prozent-Marke. Analysten interpretieren den gestrigen Rücktritt als verzweifelten Versuch, die katastrophalen Umfragewerte der Liberaldemokraten Regierungspartei PDL kurz vor der Wahl doch noch zu verbessern.

Ein mittlerweile gescheiterter Versuch, das ganze Gesundheitssystem zu privatisieren, hatte im Jänner spontane Proteste der Bevölkerung ausgelöst. Seit nunmehr drei Wochen sammeln sich hunderte, manchmal tausende Menschen trotz Schneesturms und extremer Kälte Abend für Abend in Bukarest und vielen anderen Großstädten, um gegen die drastischen Sparmaßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Mitte Jänner eskalierten die Protestaktionen kurzzeitig.

„Ende der krassen Ungleichheiten"

In ersten Reaktionen bezichtigte die Regierung ihre Kritiker der Ignoranz. „Die Zukunft des Landes müssen die leistungsfähigen, arbeitenden Rumänen bestimmen, nicht die plumpen und gewalttätigen Armenviertel", schrieb Außenminister Teodor Baconschi in seinem Blog. Doch seine Schelte sorgte nur für mehr Wut - und führte letztendlich zur Entlassung des Ministers.

„Baconschis Rücktritt hat nicht gereicht, und auch der Rücktritt der ganzen Regierung wird wahrscheinlich nicht reichen", kommentiert der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität. „Die Menschen wollen eine sozialere Politik und ein Ende der krassen Ungleichheiten, die Rumänien plagen." Gute Nachrichten für die Sozialdemokraten (PSD), die in Umfragen drastisch zugelegt haben. Doch auch die PSD hat ihr Image einer korrumpierten Partei noch nicht abstreifen können und stellt für viele keine echte Alternative dar.

Zum interimistischen Nachfolger Emil Bocs wurde zunächst Justizminister Cătălin Predoiu ernannt. Am Montagabend schlug Staatspräsident Traian Băsescu dann Mihai Răzvan Ungureanu, den parteilosen Chef des Auslandsgeheimdienstes SIE, als neuen Premier vor. Er soll nun eine arbeitsfähige Regierung bilden. Das Parlament muss allerdings noch dem Vorschlag zustimmen. „Natürlich kann eine neue Regierung keine Wunder vollbringen, aber sie könnte demokratischer und gerechter agieren", so Barbu.

Die gegenwärtige Krise könnte auch Folgen für Staatspräsident Băsescu haben, dessen Popularität allmählich schwindet. „Ich bin froh, dass Boc endlich gegangen ist. Jetzt muss ihm auch Băsescu folgen", sagt der Rentner Valeriu Tudorica, einer der Demonstranten auf dem Bukarester Universitätsplatz. Als Băsescu 2004 gewählt wurde, warb er mit dem Versprechen eines guten Lebens in einem wohlhabenden, nach Westen orientierten Rumänien. „Seitdem hat Băsescu seiner Tochter eine teure Wohnung gekauft", empört sich Tudorica. „Warum kann ich meiner Tochter nicht einmal helfen, sich eine billige zu kaufen?"

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2012)

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