Zweitwohnsitze: Der Detektiv von Lech

Zweitwohnsitze Detektiv Lech
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Die Gemeinde Lech am Arlberg erlaubt keine Zweitwohnsitze. Viele vermeintliche Bewohner kommen trotzdem nur zu Ferienzeiten. Nun prüft ein Detektiv, ob in ihren Wohnungen Licht brennt.

Heikel, diese Angelegenheit. Wie soll ein Detektiv beschrieben werden, dessen Arbeitsziel im Wesentlichen darin besteht, unerkannt zu bleiben? Versuchen wir es so (und das entspricht durchaus der Wahrheit): er ist mittelgroß, mittelschwer, hat keine besonderen Merkmale, fährt ein unauffälliges Auto in unauffälliger Farbe mit unauffälligem Kennzeichen. Dieser Detektiv steht also auf dem Bregenzer Bahnhof und nickt zur Begrüßung. Über die Autorin dieser Zeilen ist er gut informiert, das Internet macht es möglich, sagt er.

Dann gibt er den Tagesplan vor: Zuerst müssen zwei Häuser im Rheintal näher betrachtet werden, dann mehrere Häuser in Lech. Das ist nämlich der Job dieses unscheinbaren Mannes: Er kontrolliert die Wohnsitze der Lecher. Der Urlaubsort am Arlberg macht jetzt nämlich Nägel mit Köpfen. Bereits seit Jahren erlaubt die 1500-Seelen-Gemeinde keine Zweitwohnsitze (derzeit sind es rund 400). Die Bewohner befürchten, dass ihr Ort zu einer Geisterstadt verkommt – leere Wohnungen mit heruntergelassenen Rollläden, die nur bei Pulverschnee bewohnt werden. Die Folge ist allerdings, dass immer mehr Lech-Liebhaber, die eine neue Bleibe kaufen, angeben, dass hier ihr Hauptwohnsitz ist, obwohl das nicht der Wahrheit entspricht. Ein Fall für den Detektiv also, der im Auftrag der Gemeinde seit November seine Runden dreht und dieser – freilich illegalen – Täuschung auf den Grund gehen soll.

Wobei, als einen Detektiv sehe er sich nicht wirklich, sagt er: „Nicht im Sinne von Wanzen anbringen und den Autositz hinunterrutschen, wenn jemand kommt.“ Detektivisch werde seine Arbeit dann, wenn er analysieren müsse: Wie oft waren die Bewohner an ihrem angeblichen Hauptwohnsitz anzutreffen? Und wie oft an ihrem angeblichen Nebenwohnsitz? Ist es wahrscheinlich, dass der Geschäftsführer einer großen Firma mit Sitz in Norddeutschland seinen Lebensmittelpunkt in Lech hat? Eher nicht, gibt der Detektiv gleich die Antwort auf seine Frage. Schon gar nicht, wenn auf der Homepage der Firma eine deutsche Festnetznummer als Kontakt angegeben werde.

Genug Beweise. „Hier“, unterbricht er sich selbst und zeigt auf eine Sackgasse in einer Ortschaft im Rheintal. Hinter einer Baumreihe verbirgt sich überraschenderweise eine stattliche Villa mit geräumigem Vorplatz und akkurat gestutzten Sträuchern. Der Detektiv holt sein Handy hervor, knipst ein paar Bilder, schaut, ob Lichter brennen. Der Bewohner dieser Villa habe angegeben, eigentlich in Lech zu wohnen, erzählt er. Tatsächlich scheint niemand hier zu sein. Um auf Nummer sicher zu gehen, werde er ihm in seiner Lecher Wohnung einen Besuch abstatten. An dieser Tür wird er aber nicht klingeln – er ist nicht befugt dazu. Seine „Kontrollermächtigung“ gilt, da von der Gemeinde Lech ausgestellt, auch nur dort.

Das zweite Haus ist nur einige weitere Fahrminuten entfernt. Diesmal kein eleganter Eingangsbereich, sondern ein einfaches, weiß gestrichenes Objekt Typ Bauhaus mit großzügigen Fenstern. Genau diese kommen dem Detektiv zugute, kann er doch beim Vorbeifahren sehen, dass die Familie im Wohnzimmer beisammensitzt und fernsieht. Seine Beobachtungen notiert er auf linierte Din-A4-Seiten und verstaut sie in einem Aktenordner. Rund 30 Fälle beobachtet der Detektiv derzeit. Wie viele Lecher insgesamt falsche Angaben über ihren Wohnsitz machen, könne man aber nicht sagen.

Jedenfalls werde die Gemeinde erst dann eine Anzeige erstatten, wenn genug Beweise vorliegen. Dafür sei eine langfristige Beobachtung nötig, erzählt der Detektiv auf dem kurvigen Weg nach Lech. War ein vermeintlicher Bewohner des Urlaubsortes nach fünfzigmal Klingeln immer noch nicht dort anzutreffen, sei die Sache schon ruchbar. Und wenn stattdessen sein eigentlicher Zweitwohnsitz ständig bewohnt aussehe, sowieso. Wie denn Schwindler von anderen Bewohnern unterschieden werden? Sichtbarkeit, sagt er. Lech ist keine Millionenmetropole, da falle es schon auf, welche Familien tatsächlich am Alltagsleben teilnehmen.

„Hier“, sagt der Detektiv wieder und zeigt auf ein uriges Hotel am Ortseingang, „hier steigt Caroline von Monaco immer ab.“ Die Anwesenheit des europäischen Adels zu gewissen Winterzeiten ist hier längst keine Sensation mehr. Was nicht verwundern darf, denn wie der Vorort zur Hölle sieht es in Lech nun wirklich nicht aus: meterhoch blitzender Schnee, luxuriöse Hotels, die trotz allem Diskretion versprühen, Gourmetküche, so weit das Auge reicht. Teile dieser Infrastruktur würden unter den Zweitwohnsitzlern leiden, sagt Bürgermeister Ludwig Muxel: „Wir wollen das Dorf gegen den illegalen Ausverkauf schützen.“ Das heißt auch, dass Widmungen für Ferienwohnungen nur mehr in homöopathischen Dosen vergeben werden.

Für Muxel sind leere (Ferien-)Wohnungen die „Totengräber des Qualitätstourismus“. Zudem würden die Grundstückspreise in die Höhe getrieben; 7000Euro pro Quadratmeter sind hier nicht ungewöhnlich. „Wie soll sich da eine normale junge Familie eine Wohnung leisten können?“


Zugeschneiter Eingang. Viel Verantwortung für den Detektiv also, der Lech vor einer Verscherbelung bewahren soll. Zumindest seine heutige Tour hat er fast beendet. Das Lecher Haus jener Familie, die im Tal vor dem Fernseher saß, liegt in beeindruckender Hanglage mit Blick auf das Dorfzentrum. Klingeln muss der Detektiv hier nicht – er kommt gar nicht zur Wohnungstür. Den Eingangsbereich versperrt eine Barriere von fast zwei Metern Schnee, offenbar hat hier lange niemand gewohnt. Ein paar Fotos, ein paar Notizen, dann geht es weiter.

Der Abend dämmert bereits, als er nach einigen weiteren Kontrollen an der Tür eines Mehrparteienhauses klingelt. Der Herr, dem die stattliche Villa im Tal gehört, ist zu Hause. Ob er ihm Fragen zu seinem Wohnsitz stellen dürfe, fragt der Detektiv und zeigt ihm seine Kontrollermächtigung. „Nein“, sagt der Herr, „ich habe Besuch.“ Der Detektiv händigt ihm seine Visitenkarte aus. Dass er ihn anruft, glaube er aber nicht, sagt er, während er seine Notizen macht. Es bleibe ihm wohl nichts anderes übrig, als weiter zu beobachten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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