"Der Realitätscheck für das politische System"

Realitaetscheck fuer politische System
Realitaetscheck fuer politische System(c) REUTERS (CHRIS HELGREN)
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Überraschend droht die Ratingagentur Moody's auch Großbritannien mit dem Verlust des Top-Ratings. Das Land könnte sein Triple-A-Rating in den nächsten 18 Monaten mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit verlieren.

London. Großbritanniens Finanzminister George Osborne gab sich gestern alle Mühe, eine schlechte Nachricht in eine gute umzudeuten. Die drohende Herabstufung der britischen Kreditwürdigkeit durch Moody's sei der Beweis für die Richtigkeit des strikten Sparkurses der Cameron-Regierung, so der konservative Schatzkanzler frühmorgens in der BBC: „Das war der Realitätscheck für das gesamte politische System. Großbritannien muss etwas gegen seine Schulden tun und wir dürfen auf diesem Weg nicht wanken.“

Die US-Kreditagentur hat Großbritannien Montagnacht überraschend auf die Liste der Länder gesetzt, deren Bonitäts-Aussichten als „negativ“ bewertet werden. Soll heißen: Nach Einschätzung von Moody's könnte das Land sein Triple-A-Rating in den nächsten 18 Monaten mit 30-prozentiger Wahrscheinlichkeit verlieren. Es ist das erste Mal, dass Moody's die britische Bonität infrage stellt – bei Standard & Poor's genießt das Land nach wie vor den besten Status.

Limits der Geldpolitik erreicht

Mehrere Faktoren gefährden Großbritanniens Kreditstatus, so Moody's: verlangsamtes Wachstum (die Regierungsprognose für 2012 liegt bei nur 0,7 Prozent) und die Gefahr, dass die Briten ihren geplanten Defizitabbau nicht einhalten können. Eine Ausweitung der Eurokrise oder gar eine weitere Bankenkrise. Und eine steigende Inflation. Großbritannien dürfe nicht vom Sparkurs abweichen, sonst werde das Rating sofort herabgestuft, warnt Moody's. Aber die Regierung müsse auch die Wirtschaft ankurbeln.

Schatten-Finanzminister Ed Balls von der Labour-Partei wertete das als Fundamentalkritik am Regierungskurs: „Solange man kein Wachstum kreiert, ist der Plan selbstzerstörerisch und heute beweist sich zum ersten Mal, dass selbst die Kreditagenturen langsam merken, dass George Osbornes Plan nicht funktioniert.“ Die britische Regierung sitzt auf einem Schuldenberg von über einer Billion Pfund, 64 Prozent der Bruttoinlandprodukts. Schon im vergangenen November hatte Osborne einräumen müssen, dass trotz Sparbemühungen der Abbau des Haushaltdefizits langsamer voranginge als geplant. Schuld daran sei die Eurokrise, so Osborne damals.

„Die Wirtschaft stagniert“

Doch nach Einschätzung des Londoner Thinktanks „Institute für Economic Affairs“ (IEA) sind die Probleme auch hausgemacht. „Die Wirtschaft stagniert“, so IEA-Bildungsdirektor Stephen Davies zur „Presse“. „Und obwohl die Regierung anderes behauptet, tut sie nicht wirklich etwas für mehr Wachstum.“ So müssten umstrittene Reformen im Planungsrecht endlich durchgesetzt werden, um etwa die Bauwirtschaft anzukurbeln, und das Steuerrecht vereinfacht werden.

Immerhin konnte die Regierung beim Thema Inflation einen Erfolg vermelden: Die Teuerungsrate sank von 4,2 Prozent im Dezember auf 3,6 Prozent. Das ist zwar der niedrigste Wert seit über einem Jahr, doch die Marke liegt nach wie vor deutlich über dem Ziel von zwei Prozent. Der Chef der Bank of England, Mervyn King, warnte Osborne deshalb, dass sich die Wirtschaft noch lange nicht von der Krise 2007/2008 erholt habe. Um die anhaltenden Folgen der Kreditklemme zu überwinden, hat die Zentralbank seit 2009 rund 325 Milliarden Pfund (387 Milliarden Euro) in die Wirtschaft gepumpt. King warnte Osborne, dass „es ein Limit dafür gibt, was Geldpolitik leisten kann, wenn echte Veränderungen nötig sind“. Zumal die Spätfolge der Geldschwemme steigende Inflation sein könne – was wiederum die Ratingagenturen auf den Plan rufen dürfte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2012)

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