Anschlagskomplott gegen Putin?

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Mit dem angeblich vereitelten Anschlag auf den wohl künftigen Präsidenten Wladimir Putin taucht das Thema Gewalt im russischen Wahlkampf auf. Es herrscht Furcht vor einer Eskalation nach dem Wahltag am Sonntag.

Moskau. Als Hort der Kriminalität gilt die ukrainische Hafenstadt Odessa seit ewigen Zeiten. Wie sehr der gestern im staatlichen russischen TV-Sender „Erster Kanal“ ausgestrahlte Bericht über einen Terroristenring, der von Odessa aus einen Anschlag auf den russischen Premier Wladimir Putin vorbereitet habe, auch Elemente des Odessiter Ganovenmythos in sich trägt, war bis Redaktionsschluss aber nicht eindeutig klar: Putins Sprecher Dmitri Peskow bestätigte Aussagen der drei Männer, die am 6. Jänner verhaftet worden waren; ein Anschlag auf Putin sei für nächste Woche geplant gewesen.

Der ukrainische Geheimdienst SBU bestätigte den TV-Bericht. Das Regionalbüro des SBU in Odessa wiederum sagte zur russischen Zeitung „Gazeta.ru“: „Man hat das ja in eurem Ersten Kanal gezeigt. Also entscheidet selbst, ob ihr es glaubt oder nicht.“

Pläne für Attentate auf Putin sind nicht ganz neu. Ein Dutzend hat man seit seinem Machtantritt 2000 gezählt, wobei die meisten in der Zeit geschmiedet wurden, als der Krieg mit Tschetschenien wütete. Auch der jetzige Anschlag habe einen kaukasischen Hintergrund, hieß es im Staats-TV: Die Männer seien vom Terroristenführer Doku Umarow beauftragt gewesen und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten über die Türkei in die Ukraine eingereist (s. Artikel unten). Es sei „untypisch, Namen zu nennen, ohne das Netzwerk dieser Terroristen in Russland ausgeleuchtet zu haben“, sagt Mark Urnow, Politologe der Moskauer Higher School of Economics, zur „Presse“: „Warum hat man sie nicht ins Land gelassen und ihre Kontaktaufnahmen in Russland beobachtet?“

Und diese ist nur eine der offenen Fragen. Fast unisono verweisen Beobachter auch auf den Umstand, dass die Information – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – sechs Tage vor der Präsidentenwahl durchsickert. „Sie wird Putin nützen“, sagt Alexej Makarkin, Vizechef des Zentrums für Politische Technologien, auf Anfrage: „Er will als Garant der Stabilität erscheinen und hat in letzter Zeit die Opposition bezichtigt, das Land destabilisieren zu wollen.“

Putin ist derzeit aktiv wie selten zuvor. Nahezu jede Woche erscheint ein programmatischer Artikel. Diese Woche tritt er nochmals mit einer TV-Ansprache vors Volk. Wahlversprechen wurden dem ganzen Spektrum an gesellschaftlichen Schichten gegeben. Nach zwei Monaten Irritation wegen der unerwarteten Proteste hat Putin seinen Kampfgeist zurück und zieht die Möglichkeit, dass er in die Stichwahl müsste, nicht mehr in Betracht. Mobilisiert wird, was das Zeug hält. Eigentlich habe nur noch das Attentatsmoment gefehlt, meint Urnow.

„Atmosphäre emotional aufgeladen“

Damit ist freilich das Thema der Gewalt aufgeworfen – gewissermaßen als Kontrapunkt zu der friedlichen Protesthaltung der hunderttausenden Unzufriedenen. Gefährlicher als ein Attentat tschetschenischer Terroristen ist ohnehin eine mögliche Eskalation nach der Wahl am Sonntag. „Die Risken dafür nehmen zu, die Atmosphäre ist emotionell aufgeladen“, sagt Makarkin.

In der Tat liefert die Staatsführung derzeit keine Signale einer Kompromissbereitschaft. Man könne nicht sagen, wie die Menschen reagieren werden, wenn Demonstrationen verboten werden, meint Makarkin: Und man könne nicht sagen, wie weit die Anführer der heterogenen Opposition ihre Anhänger zu kontrollieren imstande seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2012)

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