Vertragsverletzung: Ungarn drohen EU-Klagen

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Die Kommission fordert Ungarn binnen Monatsfrist zu Reformen in Justiz und Datenschutz auf. Ungarn müsse rasch seine Versprechen bezüglich der Notenbank konkret unterlegen, indem es die Gesetzestexte vorlege.

Brüssel. Das Kräftemessen zwischen Europäischer Kommission und ungarischer Regierung geht in die nächste Runde. Am Mittwoch verkündete die Brüsseler Behörde, dass Ungarn binnen Monatsfrist ihre Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz und der Datenschutzbehörde ausräumen muss. Andernfalls landen die beiden Fälle vor dem Gerichtshof der EU in Luxemburg.

Doch gleichzeitig deutet sich das Ende zweier weiterer Streitigkeiten an. Die Kommission erklärte nämlich, dass Ungarn die Kritik an einigen Änderungen betreffend die Zentralbank weitgehend zufriedenstellend beantwortet habe. „Beim Verfahren betreffend die Zentralbank denken wir derzeit nicht an eine zweite Etappe“, sagte eine Sprecherin der EU-Behörde. Ungarn müsse nun rasch seine Versprechen bezüglich der Notenbank konkret unterlegen, indem es die Gesetzestexte vorlege.

Auch der vierte Streitpunkt, nämlich das neue Mediengesetz, scheint sich in Wohlgefallen aufzulösen. Das ungarische Verfassungsgericht hat schon im Dezember einige Punkte daran als verfassungswidrig bemängelt, worauf die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán in Abstimmung mit dem Gericht Gesetzesnovellen erstellt hat. Diese wurden dem Europarat zur Einsicht überliefert. Dessen Befund steht bevor.

Zwei Verfahren faktisch zu Ende

Kurzum: Faktisch, wenn auch nicht formell beendet ist das Vertragsverletzungsverfahren wegen der Senkung des Gehalts des Zentralbankgouverneurs. Die Kommission hat dies als Angriff auf dessen Unabhängigkeit gewertet. Budapest konnte aber in seiner rund 100-seitigen Antwort auf das Aufforderungsschreiben aus Brüssel glaubhaft machen, dass nicht nur der Chef der Notenbank angesichts der Wirtschaftskrise Abstriche machen muss, sondern alle Amtsträger. „Wäre die Kommission gegen dieses Gehaltsschema, hätte sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme an uns geschickt. Hat sie aber nicht“, meinte ein ungarischer Diplomat. Solche Schreiben sind der letzte Schritt vor der Klage in Luxemburg.

Auch die Frage, ob der Eid des Notenbankchefs auf die Verfassung ihn angesichts seiner Mitwirkung im europäischen System der Notenbanken einem Gewissenskonflikt aussetzt, scheint gelöst. Die Notenbank ist nämlich, wie Budapest betonte, ohnehin per Verfassungsgarantie unabhängig.

Bleiben als Streitpunkte erstens das verfrühte Amtsende des Ombudsmannes für Datenschutz, dessen Posten durch eine neue Behörde ersetzt wird, per Ende 2011. Brüssel moniert, Budapest habe „keine gültigen Gründe“ geliefert, wieso er nicht bis Ende seines Mandats 2014 im Amt bleiben konnte. Das sei eine „Verletzung der persönlichen Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht“. Zudem sind die Gründe, deretwegen er vom Ministerpräsidenten entlassen werden kann, schwammig formuliert.

„Willkür“ in Justizverwaltung

Zweitens lehnt die Kommission den Budapester Vorschlag ab, dass der neue Oberste Justizrat im Einzelfall die Dienstzeit von Richtern und Staatsanwälten nach Prüfung von deren „beruflicher und medizinischer Eignung“ über das neue Pensionsantrittsalter von 62 Jahren verlängert (bisher lag es bei 70 Jahren). Das sei „willkürlich“, kritisiert die Kommission.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2012)

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