Rückschlag für Osteuropas Demokratie

Rueckschlag fuer Osteuropas Demokratie
Rueckschlag fuer Osteuropas DemokratieREUTERS/Ilya Naymushin
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Die Bertelsmann-Stiftung ortet "Qualitätseinbußen" bei Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit. Politische Polarisierung und Populismus behindern die Transformation zu modernen Demokratien. Eine Ausnahme ist Polen.

Wien. Die Nachricht ist dramatisch und birgt in Kombination mit der anhaltenden Wirtschaftskrise politischen Sprengstoff in sich. Der aktuelle „Transformationsindex“ der Bertelsmann-Stiftung, der regelmäßig die demokratische und marktwirtschaftliche Entwicklung von 128 Ländern beurteilt, weist diesmal nicht nur für Lateinamerika, sondern auch für Osteuropa „Rückschritte“ aus. „Die meisten Staaten Ostmittel- und Südosteuropas erlebten in den letzten Jahren Qualitätseinbußen ihrer Demokratien, marktwirtschaftlichen Ordnung und politischen Managementleistung“, heißt es in der aktuellen Studie.

Zu dieser Entwicklung haben laut den Autoren eine politische Polarisierung und das Machtstreben einzelner Politiker beigetragen. „Vielerorts geben Populisten den Ton an und schwächen gezielt demokratische Institutionen, um die Gewaltenteilung zu untergraben und ihre eigene Machtstellung auszubauen.“

Im Untersuchungszeitraum 2009 bis 2011 hat sich die Demokratiequalität in 13 der 17 Länder verringert. Wobei ein Land – Polen – besonders positiv, ein anderes – Ungarn – besonders negativ heraussticht. „Während die polnische Regierung die demokratischen Institutionen weiter konsolidieren konnte, versuchte die seit Mai 2010 amtierende ungarische Regierung das Verfassungsgericht zu entmachten, regierungsunabhängige Staatsorgane sowie gesellschaftliche Organisationen unter ihre Kontrolle zu bringen und die Medienfreiheit einzuschränken.“ Detailliert werden die Verfehlungen in Ungarn aufgelistet – von den Neubesetzungen der Obersten Staatsanwaltschaft, des Kartellamts, der Finanzaufsicht durch Fidesz-Unterstützer über Einschränkungen des Versammlungsrechts bis zur Aushöhlung der Pressefreiheit.

Ungarn ist freilich keine Ausnahme. Auch die Slowakei, Albanien, der Kosovo, Mazedonien und Montenegro seien von „deutlichen Einbußen in der Demokratiequalität“ betroffen. Fortschritte wurden von den Bertelsmann-Experten hingegen in Serbien wahrgenommen. Positiv wurde hier registriert, dass die serbische Regierung bemüht war, korrupte Richter aus ihren Ämtern zu entfernen.

Problematisch ist, dass die meisten der ost- und südosteuropäischen Länder gleichzeitig zu den politischen Problemen auch ihre wirtschaftliche Transformation verlangsamt haben. In einzelnen Ländern gab es auch hier Rückschritte. „Davon war vor allem Lettland betroffen, aber auch in Rumänien und in der Slowakei verschlechterte sich das marktwirtschaftliche Entwicklungsniveau leicht. Polen und Serbien dagegen treten als die Länder hervor, die bei ihren Reformen Richtung Marktwirtschaft Fortschritte erzielten“, heißt es im Bericht. Wobei Serbien trotzdem noch immer als „Marktwirtschaft mit Funktionsdefiziten“ eingestuft wird.

EU-Kandidaten: Kaum Fortschritte

Ein solches marktwirtschaftliches Funktionsdefizit ortet die Bertelsmann-Stiftung außerdem in Bosnien und im Kosovo. Ein schlechtes Zeugnis stellt der Bericht auch Rumänien, Bulgarien und den Beitrittskandidaten am Westbalkan aus. „Obwohl die EU den Aufbau stabiler Demokratien und funktionierender, wettbewerbsfähiger Marktwirtschaften von beitrittswilligen Staaten erwartet und unterstützt, erreichten die Kandidatenländer nur minimale Fortschritte.“

Die Rückentwicklung hat laut den Experten weniger mit dem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld als mit dem politischen Management zu tun. Während die polnische Regierung unter dem liberalen Regierungschef Donald Tusk ein „erfolgreiches ökonomisches Krisenmanagement“ betrieb, gab es in Ungarn eine „dramatische Verschlechterung“. Als äußerst problematisch wird die politische Managementleistung in Albanien und Bosnien bewertet. Relativ positiv habe sich hingegen Tschechien unter der Regierung von Petr Nečas entwickelt. Auch Lettlands „Steuerungs- und Implementierungsfähigkeit“ wird trotz wirtschaftlicher Probleme hervorgehoben. Premier Valdis Dombrovskis gelang es, die Staatsausgaben um 14 Prozent zu reduzieren, dennoch konnte er bei den Wahlen im Oktober 2010 zulegen. Er ist ein Beispiel dafür, dass auch schmerzhafte Reformen belohnt werden, wenn sie glaubwürdig vermittelt werden.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.bertelsmann-stiftung.de/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2012)

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