Wien-Marathon: Zwei Weltstars beehren Wien

WienMarathon Zwei Weltstars beehren
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Der Wien-Marathon erlebt bei der 29. Auflage am 15. April eine Weltpremiere: Die Laufstars Haile Gebrselassie und Paula Radcliffe liefern sich ein Verfolgungsrennen über die Halbdistanz.

Hätte man Wolfgang Konrad, dem Organisator des Vienna City Marathons, vor Jahren vorhergesagt, dass eines Tages ein Weltstar wie Haile Gebrselassie durch Wien laufen würde, hätte er einen schlichtweg für verrückt erklärt. Seit dem Vorjahr tickt die Uhr allerdings anders. Der Äthiopier lief tatsächlich in Wien und der zweifache Olympiasieger, mehrfache Weltmeister auf verschiedenen Distanzen und ehemalige Weltrekordhalter erfüllte auch seine Mission. Er „hinterließ“ Konrad mit dem Streckenrekord über die Halbdistanz in 1:00,18 Stunden ein Geschenk. „Da geht nichts drüber“, sagte Konrad schweißgebadet im Zielraum auf dem Heldenplatz. „Das ist der Höhepunkt.“

2012 ist alles wieder ganz anders. Konrads Rennleiter, der Deutsche Mark Milde, der auch mit seiner Familie seit Jahren beim Berlin-Marathon die Fäden zieht, ließ seine Kontakte spielen und engagierte die schnellste Frau der Welt – die Britin Paula Radcliffe.

Radcliffe gilt in der Laufszene als die „Grande Dame“. Die 38-Jährige ist die Ausnahmekönnerin über 42,195 Kilometer und seit ihrem Weltrekordlauf in London 2003 in 2:15,25 Stunden weltberühmt. Ihr Laufstil ist einzigartig, ihre Aura noch größer, und sie zählt auch bei den Sommerspielen in London zum Favoritenkreis. Radcliffe verteidigt Europas Bastion gegen Läuferinnen aus Afrika, die alle Langstreckenrennen dominieren. Sie sprengte diese Phalanx, und obgleich sie in den vergangenen Jahren zahlreiche Rückschläge hinnehmen musste und weiterhin ihrem Traum von Olympiagold hinterher läuft: Leuchtet bei einem Marathon der Name Paula Radcliffe auf, ist Qualität garantiert. Wer dreimal in New York und ebenso oft in London gewonnen hat, gilt als unantastbar.


Catch me if you can. Weil Milde und Konrad ihr Geschäft verstehen, spannten sie beide Allzeitgrößen in ein noch nie erlebtes Rennen. Sowohl Gebrselassie als auch Radcliffe starten über die Halbdistanz und veranstalten in diesem Rennen ihre eigene Verfolgungsjagd. Das ist insofern historisch, weil es einerseits die an sich strikte Geschlechtertrennung bei Straßenrennen dieser Größenordnung aushebelt, andererseits weil es weder in New York, Berlin oder London jemals zuvor solch ein Spektakel zu bestaunen gab. Ein Insider vermutet, dass die Britin acht, vielleicht neun Minuten Vorsprung bekommen soll.

Es mag auf den ersten Blick Show-Charakter vermitteln, immerhin streifen beide Startgelder ein und letztlich zählt im internationalen Vergleich nur die Zeit über die volle Distanz. Doch für die Athleten selbst hat der Wien-Start ganz andere Beweggründe. Für den 38-jährigen Äthiopier ist es der Auftakt seiner Abschiedstournee. Er verpasste das Olympialimit für London und verabschiedet sich mit diversen Läufen, verteilt um den Globus, von seiner Anhängerschaft und dem Sport. „In Wien fühlte er sich sofort wohl“, sagt Milde, der den Weltstar seit Jahren kennt und auch um die Befindlichkeiten von Allzeitgrößen Bescheid weiß. Die Stadt gefalle ihm, der Lauf habe ihm imponiert und selbst ein Jahr danach erzählt Gebrselassie noch immer voller Stolz, dass er vom Bundespräsidenten empfangen wurde.


Ein Wien-Fan. Geld allein sei für ihn keine Motivation, es gehe dem Laufwunder tatsächlich nur um sein Wohlbefinden. Ob er überhaupt noch einen Marathon laufen wird, konnte selbst Manager Jos Hermens nicht beantworten. „Gebrselassie will in Wien einfach nur laufen“, sagt er. „Und irgendwann komme ich inkognito wieder“, verriet der Laufstar der »Presse«, „und bringe meine ganze Familie mit und schaue mir eure schöne Stadt mit all den historischen Bauten in aller Ruhe an.“

Für Paula Radcliffe ist das Wien-Debüt und das Duell mit Gebrselassie hingegen ein sportlicher Gradmesser und ein wichtiger Olympiatest. Denn in London, bei ihren „Heimspielen“, die am 27.Juli beginnen werden, darf nichts schief gehen. Es sind ihre fünften und letzten Spiele, und bei denen will sich die zweifache Mutter ihren Medaillenwunsch unbedingt erfüllen. „Es wäre der Traum. Es wäre sehr schön, Olympiasiegerin zu werden, wunderschön. Vielleicht gelingt es.“

Die Konkurrenz in London wird groß sein und jeder Meter, den sie vorab im Renntempo absolviert hat, ist daher von Bedeutung. Sie muss verstehen, wie der Körper tickt, ihre Muskeln reagieren und Puls oder Atem funktionieren. Eine abermalige, von Tränen begleitete Aufgabe wie in Athen 2004 ist eine ihrer Horrorvisionen. Auch an den Auftritt in Peking hat sie keine guten Erinnerungen. 2008 musste sie mit Wadenproblemen sogar stehen bleiben und die Muskeln dehnen, um später und aussichtslos zurückliegend wieder ins Rennen einzusteigen. Eine Demütigung. Und der 23. Platz ist für sie eine der größten Enttäuschungen ihrer einzigartigen Karriere.


Der nächste Wien-Rekord. Daher ist davon auszugehen, dass es die Britin tatsächlich ernst meint und gleich nach dem Start auf der Reichsbrücke gehörig aufs Tempo drücken wird. Der Streckenrekord von 1:13,20 Stunden, gehalten von Susanne Pumper, ist für sie ein Leichtes und diese Marke sollte auch fallen. „Ich werde niemals einen Marathon laufen, um nur 2:30 Stunden zu schaffen“, erklärte die als launenhaft verschriene Britin einst beim Berlin-Marathon. „Ich will mich gut fühlen und jedes Rennen gewinnen.“

Obgleich Zeiten um 2:15 Stunden nicht mehr möglich scheinen, sind Läufe um 2:17 Stunden durchaus erreichbar. Mit dieser Zeit ist eine Medaille in London in Griffweite, vielleicht auch der Sieg. 2008 gewann die Rumänin Tomescu in 2:26,44 Stunden. Zu ihrer Verteidigung: Dieses Rennen war von Smog und Hitze geprägt.

Paula Radcliffe aber wischt alle Prognosen und Expertisen vom Tisch. Die Wahrheit liegt für sie auf dem Asphalt und offenbart sich erst während des Rennens. Sie sagt: „Laufen ist für mich eine Macht. Ich laufe, wenn ich nachdenken muss, und ich laufe, wenn ich nicht nachdenken will.“


Sieger als Mitläufer. Im Schatten der beiden Allzeitgrößen laufen am 15.April gleich sechs ehemalige Wien-Sieger. Titelverteidiger John Kiprotich bekommt es über die 42,195 Kilometer mit seinen Vorgängern Henry Sugut, Sieger 2010, Gilbert Kirwa (2009) und Luke Kibet (2007) zu tun. Die Kenianer gehen auf die Jagd nach dem von ihrem Landsmann und aktuellen Weltmeister Abel Kirui vor vier Jahren aufgestellten Streckenrekord von 2:07,38 Stunden. Im Damenfeld muss Titelverteidigerin Fate Tola aus Äthiopien unter anderem gegen die zweifache Wien-Gewinnerin Luminita Talpos (ROM/2007, 2008) bestehen. Doch so schnell sie auch laufen werden, selbst bei einem neuen Streckenrekord spielen sie in diesem Rennen nur Nebenrollen. Im Rampenlicht ist neben Haile Gebrselassie und Paula Radcliffe schlicht und einfach kein Platz.

Ein »Kuss« und rote Nasen

Ein Kunstwerk hilft „Menschen für Menschen“
2012 feiert Wien den 150. Geburtstag des Jugendstilkünstlers Gustav Klimt. Die VCM-Veranstalter schufen mit vielen Läufern eine Abwandlung des Bildes „Der Kuss“. Spendengelder erhält Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe „Menschen für Menschen“.

Thomas Morgenstern als Schlussläufer
Thomas Morgenstern wird am 15.April zum Marathon-Mann. Der Kärntner tauscht die Skisprunglatten gegen Laufschuhe ein und nimmt 11,295 Kilometer für einen guten Zweck unter die Beine. Als Schlussläufer der kika-Staffel stellt er jeden seiner Schritte in den Dienst der „Rote Nasen“-Clowndoctors.

1973
wird die britische Langstreckenläuferin Paula Radcliffe am 17.Dezember in Northwich geboren.

2003
verbesserte die Siegerin des New-York- und London-Marathons den Weltrekord über 42,195 Kilometer auf 2:15:25 Stunden.

8
Goldmedaillen sind in ihrer Vitrine zu finden, sie gewann WM-Titel im Marathon, Halb-Marathon und Crosslauf. Nur Olympia-Edelmetall fehlt.

2012
Radcliffe kommt aus einer Sportfamilie. Großtante Charlotte gewann bei den Spielen 1920 in Antwerpen mit der Kraulstaffel Silber. Mit ihrem Mann Gary Lough, einem Ex-Mittelstreckenläufer, hat sie zwei Kinder.

1973
erblickt Haile Gebrselassie am 18.April in Assela, Äthiopien, das Licht der Welt. Heute ist er der populärste Marathonläufer der Welt: Er schaffte 26 Weltrekorde und dominierte als Olympiasieger und Weltmeister über ein Jahrzehnt alle Rennen von 3000 Meter bis 10.000 Meter oder 42,195 Kilometer.

2:03,59
Stunden ist seine Bestzeit. Er gewann viermal in Berlin und dreimal in Dubai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2012)

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