ORF-Standort: Stiftungsräte wegen Haftung beunruhigt

(c) AP (Lilli Strauss)
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ORF-Kontrollorgan muss eine der wirtschaftlich am weitesten reichenden Entscheidung in seiner Geschichte treffen. Dienstag steht Wrabetz der eigens bestellten "Arbeitsgruppe Standort" Rede und Antwort.

Die Frage, wo der ORF in Zukunft „wohnen“ soll, beschert nicht nur ORF-Boss Alexander Wrabetz so manche schlaflose Nacht - auch unter den Mitgliedern des Stiftungsrates kommt Unruhe auf, wie man aus ORF-Kreisen hört. Denn es ist das 35-köpfige Aufsichtsorgan des ORF, das per Gesetz über „Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften“ auf Vorschlag des ORF-Chefs entscheiden muss – und den einzelnen Räten dürfte nun langsam klar werden, dass sie für ihre Entscheidungen persönlich haften. Das gilt zwar grundsätzlich bei jedem Beschluss, den das Gremium fasst, allerdings musste in der ORF-Geschichte bisher vermutlich noch nie eine Entscheidung dieser wirtschaftlichen Dimension getroffen werden bei der es um Summen in Milliardenhöhe geht.

Ende März hat Wrabetz ein erstes Papier mit Standortvarianten an die Räte geschickt. Daraus geht hervor, dass ein Neubau in St. Marx mit 1,49 Milliarden Euro, berechnet auf 35 Jahre, die teuerste Variante ist. Ein Verbleib auf dem Küniglberg unter Zusammenlegung aller Standorte würde nur 1,37 Milliarden Euro kosten. Die günstigste Variante hat Wrabetz bereits ausgeschlossen: Der Verbleib an den bisherigen Standorten (Küniglberg in Hietzing, Funkhaus in Wieden und Ö3-Büro in Heiligenstadt) würde 1,24 Milliarden Euro kosten. Eine Übersiedlung nach St. Marx wünscht sich vor allem die Stadt Wien, der das Areal gehört und die den ORF sogar mit einem günstigeren Preis lockt, wenn es bis Juni eine Entscheidung gibt. Vehement gegen den Standort St. Marx ist die ÖVP.

Sitzung mit Wrabetz, Götzhaber, Grasl

Dass Aufsichtsräte heute generell mehr zur Verantwortung gezogen werden als früher, weiß Richard Schenz, Corporate-Governance-Beauftragter der Bundesregierung, aus seiner Praxis. Die ORF-Situation skizziert er so: „Wenn der Generaldirektor und der Kaufmännische Direktor dem Stiftungsrat eine Variante vorschlagen, die nicht wirtschaftlich ist, und der Stiftungsrat akzeptiert sie, hat er seine Rolle verfehlt und ist haftbar für die Entscheidung.“

Bis Juni soll die Standort-Entscheidung gefallen sein. Heute, Dienstag, trifft erstmals die „Arbeitsgruppe Standort“ des Stiftungsrates zusammen. Geladen sind neben Generaldirektor Wrabetz auch Finanzdirektor Richard Grasl und Technikdirektor Michael Götzhaber. Die drei stehen dem Sonderkommando des Stiftungsrates Rede und Antwort. Ein wichtiger Punkt auf der Tagesordnung ist die Frage, wie die Technikabteilung in Zukunft aufgestellt werden kann. Die Arbeitsgruppe Standort berichtet im Anschluss an den Finanzausschuss des Stiftungsrates. Auch wenn zu bezweifeln ist, dass in der morgigen Sitzung eine Entscheidung fällt, dürfte das Treffen durchaus spannend werden.

Alles andere als entscheidungreif ist die Standortfrage für Stiftungsrat Franz Medwenitsch (ÖVP), der nicht in der Arbeitsgruppe sitzt. Für ihn kommt in der Debatte „die eigentliche Kernfrage“ zu kurz. „Die Frage ist, für welchen ORF wird ein Standort gesucht. Wie ist sein Programm- und Serviceangebot, welche Aufbauorganisation, welche Produktionsabläufe hat er, bleibt die Rechtsform, wieviel Personal braucht der ORF und wieviel kostet er.“ Solange all das nicht geklärt sei und es keine Zukunftsvision für das Unternehmen gebe, könne keine Entscheidung getroffen werden.         awa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2012)

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