Das Verwirrspiel rund um den chinesischen Regimekritiker Chen nutzt den Republikanern.
Der Plan war wohldurchdacht: Barack Obama stattet Afghanistan einen Blitzbesuch ab und tritt dort als Bezwinger der al-Qaida auf. Und während der US-Präsident in Kabul fotogen mit Armeeangehörigen schäkert, bricht seine Außenministerin nach Peking auf, um über Sicherheit und Wirtschaft zu parlieren. Dieser diplomatische Doppelschlag nimmt den Republikanern den Wind aus den Segeln und lässt ihre Kritik an Obamas Außenpolitik kleinlich erscheinen. Ende gut, alles gut.
Doch leider hat ein chinesischer Dissident diesen schönen Plan durchkreuzt. Chen Guangcheng hatte in der US-Botschaft in Peking Zuflucht gesucht und das Areal am Mittwoch verlassen – auf Betreiben aller Beteiligten, die eine Vereinbarung über sein sicheres Geleit getroffen hatten, wie es zunächst hieß.
Doch nun fürchtet Chen offenbar um sein Leben und gibt an, von US-Beamten indirekt unter Druck gesetzt worden zu sein. Währenddessen spielt Chinas Führung die Rolle des beleidigten Gastgebers, fordert von Washington eine Entschuldigung und eine Strafe für die frevelhaften amerikanischen Diplomaten.
Sollte Chen jetzt irgendetwas zustoßen, wäre das Desaster für Obama perfekt. Doch auch so bietet die wirre Causa den Republikanern genug Munition. Um seinen Ruf zu wahren, muss der US-Präsident nun gegenüber China den harten Mann markieren – was angesichts der momentan ohnehin fragilen Beziehungen zwischen den beiden Ländern alles andere als angebracht ist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2012)