Die verborgenen Schätze von Kyoto

(c) EPA (TOMOFUMI NAKANO)
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Die charmantesten Heiligtümer der alten Kaiserstadt – Tempel, Gärten und Schreine – finden sich nicht im Reiseführer. Man muss sie schon selbst entdecken, und sei es per Zufall.

Ganz oben auf der Liste jedes Japan-Besuchers steht in Kyoto der Goldene Pavillon. Der dritte Shogun von Ashikaga hatte Kinkaku-ji, so der Name, 1394 als komfortable Villa übernommen und sich in den Kopf gesetzt, das Areal in einen atemberaubenden Landschaftsgarten umzubauen. Was man halt so braucht für einen standesgemäßen Lifestyle: Schreine, Tore, Brücken, Seen, Inseln, Gärten, Quellen.

Der Nachwelt vergönnte er diese Pracht allerdings nicht, sie musste nach seinem letzten Willen alles wieder zerstören – bis auf den mit Gold überzogenen Pavillon. Der Rest wurde freilich sukzessive wieder restauriert und die Anlage 1994 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

Soweit die Geschichte, die jedes Jahr zehntausende Reisende aus aller Welt anlockt. Menschenschlangen am Eingang, Geschiebe auf den lauschigen Kieswegen, Gedränge an den besten Fotospots. Jeder will ein Bild von sich vor dem Pavillon. Wir erledigen unser Pflichtprogramm und verlassen das Gelände, schlängeln uns zwischen den Buskohorten am Parkplatz durch, vorbei an Getränke- und Andenkenständen (Handtücher, Handyanhänger, Mangas). Am Horizont wölbt sich ein bewaldeter Hügel, in den das japanische Zeichen für „groß“ weithin sichtbar hineingeschneist ist. Japaner sind stolz. Und selbstbewusst.

Wunschkonzert im Tempel

Nächstes Ziel: zu Fuß, nicht per Touristenbus, zum nicht minder berühmten Zen-Steingarten Ryoan-ji („ji“ heißt Tempel). Prompt nehmen wir die falsche Straße, was aber nicht sofort auffällt. Wenige Minuten später öffnet sich auf der anderen Straßenseite das typische Eingangstor eines Schreins: zwei mächtige Säulen, darüber ein Querbalken, dessen Enden sich sanft zum Himmel erheben. Die Anlage ist still, leer bis auf einige wenige Japaner. Linker Hand ein Brunnen, zum Abwaschen alles Unreinen.

Das kennen wir schon: Wasser aus einer Holzkelle mit der rechten Hand über die linke schütten, dann umgekehrt und zuletzt wieder mit der Rechten Wasser in die Linke tröpfeln und damit die Lippen benetzen. Jetzt sind wir sauber für die Begegnung mit den Göttern. Haus- und Schutzgötter gibt es zuhauf und für jeden Zweck. Sie sind zuständig für die weltlichen Angelegenheiten, für Menschliches und allzu Menschliches – Buddha hingegen für das Leben nach dem Tod. So hat alles seine Ordnung. Die Götter haben offene Ohren für Wünsche, Hoffnungen und Träume. Jeder Tempel, jeder Schrein bietet seiner Widmung entsprechende Wunschvehikel zum Kauf an. Im nicht minder prominenten Fushimi Inari Taisha im Süden Kyotos – ebenfalls ein Muss für jeden Japan-Besucher – sind das handliche orange-rote Nachbildungen der berühmten Tore, die zu Hunderten das Areal zieren. Im Film „Die Geisha“ läuft die Hauptdarstellerin durch dieses dichte Spalier von Toren.

Nachbildungen kann man in fünf verschiedenen Größen erstehen, je nach Wichtigkeit des Wunsches. Man schreibt ihn mit bereitliegenden Filzstiften aufs Holz, deckt ihn mit Selbstklebepapier ab (geht ja nicht jeden etwas an) und hängt sein Wunschvehikel an die dafür vorgesehenen Gestänge. Die meisten Besucher erledigen das zeitsparend gleich in der Nähe des Hauptgebäudes. Und verpassen das Beste: Auf Seitenwegen entdeckt man gut versteckt im Bambuswald Steinschreine, die es an Schönheit locker mit jenen auf dem Trampelpfad aufnehmen können.

Die Suche nach dem Zen-Steingarten geht weiter. Wir wissen immer noch nicht, dass wir in der falschen Straße sind. Nach ein paar Blocks die nächste Pforte: diesmal in einen wirklich kleinen Tempel. Das Heiligtum, ein entzückendes Gebetshäuschen, ist mit Babylätzchen behängt. Eine junge Mutter trägt ihr Neugeborenes zum Schrein, verneigt sich, wirft eine Münze in eine Büchse, nimmt die Händchen ihres Babys – und zieht mit ihm gemeinsam an einem Glockenseil. So macht man Götter auf sich aufmerksam. Zweimal klatscht sie noch die Hände, verneigt sich (gar nicht so einfach mit Baby) und verlässt den Schrein wieder.

Der verborgene 15. Stein

Ein Blick auf den – exzellenten und überall gratis aufliegenden Stadtplan – macht jetzt endlich klar, dass wir vom Weg abgekommen sind. Die zwei Tempel, die wir besucht haben, sind gar nicht eingezeichnet – die Touristenmagneten hingegen sehr prominent. Wir finden die richtige Straße und den berühmten Zen-Steingarten Ryoan-Ji. Auf Fotos wirkt er wunderbar still und kontemplativ. In Wahrheit präsentiert er sich als streng reguliertes Gedränge und Geschiebe.

Eine US-Amerikanerin liest ihrem Mann aus dem Führer vor, dass 15 Steine in scheinbar wahlloser Anordnung im sauber gerechten Kies eingebettet sind, doch könne man nur 14 sehen. Nonsens, widerspricht er und zählt durch. Tatsächlich, nur 14. Das ärgert ihn, er drängt sich durch die Menge und entdeckt aus anderer Position den 15. Stein. So leicht wäre er nicht zu täuschen, teilt er seiner Frau mit. Dass mit dem Auftauchen des letzten Steines ein anderer aus dem Blickfeld verschwindet, bemerkt er nicht mehr.

Flucht auf die Rückseite des Besucherhäuschens. Nur wenige Meter vom Touristenauflauf entfernt – und von diesem unbeachtet – finden wir einen japanischen Miniaturgarten. Auf drei mal fünf Meter Fläche stehen von einer Mauer geschützt Bonsai-Bäumchen, Sträucher und Steinstelen in nur scheinbar zufälliger Anordnung. Ein winziger kornblumenblauer Singvogel mit gelbem Bauch hüpft über das Gras, auf Äste und Pflanzen. Wir beobachten ihn still, bewundern die kompakte Gartenarchitektur auf kleinster Fläche, deren Sinn sich nur Zen-Buddhisten enthüllt, bis wir zur Sperrstunde hinauskomplimentiert werden.

Am Ende des Tages steht die Erkenntnis, dass die schönsten Attraktionen nicht im Führer zu finden sind. Kyoto opfert nur einige seiner Sehenswürdigkeiten den Touristen. Die Herzstücke verbergen sich, wie so oft, im Kleinen.

Tempel, Stelen, Schreine, Gärten: Kyoto – Japan wie vor Jahrhunderten

Anreise: u. a. mit Austrian Wien–Tokio–Osaka/retour (1258,24€ mit Red Tickets), mit Emirates und sehr langen Aufenthalten in Dubai ab 755€ oder mit Turkish Airlines mit nur 2 Stunden Aufenthalt in Istanbul ab 779€.www.austrian.com
www.emirates.com
www.turkishairlines.com/de-at

Japan Rail Pass: für 7 Tage 322€, für 14 Tage: 514€.

Schlafen: Hotel Avanshell Kyoto 36, Nishihiraki-cho, Takano, Kyoto. 437 € für 4 Nächte/2 Personen ohne Frühstück, liegt im Nordosten, günstig für die beschriebenen Attraktionen. www.solarehotels.com/english/collection/hotel-avanshell-kyoto/guestroom/detail.html

Pauschal: u. a. mit airtours.de; dertour.at; fti.at; geo.at; ikarus-dodo.at; jumbo.at; meiers-weltreisen.at; ruefa.at, studienreisen.at; tui.at; windrose.at [Andrea Lehky]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2012)

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