Sonntagstafel: Zum Roten Wolf

Wo die Zeit still steht: Zum Roten Wolf in Langenlebarn.

Heute sei ausnahmsweise eine Empfehlung und Warnung zugleich ausgesprochen: Einerseits machen Zeitreisen richtig Spaß, andererseits löst die dazugehörige kulinarische Begleitung nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Das Restaurant Zum Roten Wolf beim kleinen Bahnhof in Langenlebarn war einst eine kulinarische Ziel-eins-Adresse. Schön war es wirklich nie, aber die Küche war gut und die Tischkultur unterschied sich von den Schank-Doppler-Hütten des nahen Wienerwaldes und der Donauregion. Das war vor 20, 15 Jahren. Heute lieben wir einfache Wirtshäuser und das Leben hat sich verändert.

Nicht aber der Rote Wolf, bei dem es noch immer nicht sehr schön aussieht, Holzvertäfelungen, 80er-Jahre-Stil und Tischdecken braucht 2012 niemand zur Landpartie. Auch die Küche kann schon als Forschungsgegenstand gesehen werden: Die Gerichte werde zubereitet, als gäbe es aktuelle Moden und Einflüsse nicht.

Freilich war die alte Rote-Wolf-Küche damals auch einer Mode unterworfen. Daher wirkt eine Entenbrust in der Sesam-Honig-Kruste anachronistisch, etwas zu süß und fad zugleich. Die Suppe mit den guten gebackenen Grießknöderln ist zeitloser, aber es gab sich auch schon in den frühen 90er-Jahren, wie archivierte Speisekarten beweisen. Auch eine „Frühlingsrolle“ mit Wels-Füllung, deren Handfertigung ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt, scheint aus einem anderen Jahrhundert, schmeckt aber aufgrund guter Fischfleischkonsistenz. Der Rostbraten vom Biorind ist einwandfrei, das Lauchgemüse erinnert an ein süßliches, dickes Tiefkühlgemüse aus der Kindheit. Kalbskopf gab es damals nicht, der ist auch ganz gut, die Schnittlauchsauce ernährt ganze Familien. Noch ein Wort zum Chef: Auch dessen Mischung aus witziger Distanzlosigkeit und freundlicher Gelassenheit ist ganz die alte. Wir schreiben 1995! Noch früher?

Zum Roten Wolf, Bahnstraße 58,

3425 Langenlebarn, 02272/625 67. Mi bis So 12–15 und 18–22 Uhr.

diepresse.com/schaufenster

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2012)

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