Teuerung: Fällt nun auch Deutschland um?

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Die Bundesbank deutet erstmals an, wegen der europäischen Schuldenkrise auch höhere Inflationsraten zu akzeptieren. Das hilft den Staaten beim Abbau ihrer Schulden - auf Kosten von Sparern und Konsumenten.

Wien. In Europa geht ein Gespenst um, das die Deutschen und die Österreicher fürchten: die Inflation. Die unkontrollierte Geldentwertung in den 1920er-Jahren hat sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Nicht zuletzt deshalb pochte die Deutsche Bundesbank bis zuletzt darauf, dass in der Eurozone die Teuerungsrate nicht über zwei Prozent liegen dürfe.

Nun haben Vertreter der Notenbank erstmals offiziell angedeutet, wegen der europäischen Schuldenkrise auch höhere Inflationsraten zu dulden. Jens Ulrich, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung des Instituts, sagte bei einer Anhörung in Berlin, dass Deutschland künftig „eher überdurchschnittliche Inflationsraten ausweisen“ werde.

Vier bis sechs Prozent möglich

Damit war der Aufschrei perfekt. Analysten der niederländischen ING-Bank sprechen von einem „Durchbruch“. Die „Financial Times“ wertet die Aussage als Signal, dass nun auch Deutschland seine rigide Inflationspolitik lockere. Umgehend versuchten die Notenbanker zu beruhigen: Man werde nur „vorübergehend“ höhere Preise dulden, hieß es aus der Bundesbank.

Wie stark die Teuerung ausfallen könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die deutsche Deka-Bank hält eine Rate von „bis zu vier Prozent“ für möglich. Ökonomen des Internationalen Währungsfonds glauben, dass einige Euroländer auch sechs Prozent verkraften könnten.

Für Europas Politik wäre das eine bequeme Möglichkeit, Schulden abzubauen. Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer erwartet, dass sich Europa auf eine Zeitspanne mit negativen Realzinsen einstellen muss. Davon ist die Rede, wenn die Teuerung höher als die Sparzinsen ist.

„Das ist der wahrscheinlichste Weg aus der Schuldenkrise“, meint auch Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung. Auch die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg über eine Geldentwertung ihre Schulden abgebaut. So waren in den Vereinigten Staaten die Staatsschulden 1945 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung explodiert. Negative Realzinsen ermöglichen es verschuldeten Staaten, sich günstig Geld zu leihen und hochverzinste Altschulden zu bedienen. Die USA senkten ihre Schulden damit bis 1955 auf 60 Prozent des BIPs. Allerdings: Die Zeche für die Entschuldung bezahlen Sparer, aber auch Konsumenten in Form höherer Preise.

Alle Ökonomen sind sich einig, dass es keine Hyperinflation von zehn Prozent und mehr wie in den 1920er-Jahren geben wird. Zu groß wäre die Gefahr von Unruhen. Die Geldentwertung werde vielmehr „schleichend“ passieren – über einen längeren Zeitraum sind die Auswirkungen dennoch beachtlich.

Die EZB will „wachsam sein“

Angeheizt haben die Inflationssorgen unter anderem heftige Interventionen der EZB. So kaufte die Zentralbank seit Mai 2010 Staatsanleihen europäischer Krisenländer um 214 Milliarden Euro. Außerdem stellten die Frankfurter Notenbanker Finanzinstituten billige Kredite im Ausmaß von mehr als einer Billion Euro zur Verfügung. Die Bilanz der EZB ist auf mehr als drei Billionen angewachsen.

„Ja, es stimmt, wir haben Zeit gekauft“, sagte EZB-Chefökonom Peter Praet am Donnerstag bei einer Tagung in Wien. Aktuell liegt die Inflation in der Eurozone bei 2,6 Prozent. Über eine „Exit-Strategie“, also eine Reduktion der Geldmenge, denke die EZB nach, Details dazu will Praet nicht nennen. Grundsätzlich werde die EZB „wachsam sein, um Aufwärtsrisken für die Preisstabilität einzugrenzen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2012)

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