Nagelprobe für Serbien und die Soft Power der EU

Die Attraktivität des Klubs EU hat Kriegsverbrecher ins Gefängnis gebracht und wohl Tomislav Nikolić geläutert. Für die Union selbst ist das aber nicht ungefährlich.

Was wohl der alte Nationalistenführer in seiner Gefängniszelle in Den Haag gedacht haben mag, als er hörte, dass sein einstiger politischer Ziehsohn, Tomislav Nikolić, neuer serbischer Präsident wird? Vojislav Šešelj war es nie vergönnt, dieses Amt zu übernehmen. Zwar erfreute sich der selbst ernannte Četnik-Führer im Serbien der Neunzigerjahre großer Beliebtheit, doch Autokrat Slobodan Milošević, der den Ultranationalisten zwar für seine Machtspiele benutzte, hätte ihn aber nie an die Spitze gelassen. 2002 gab Milošević – mittlerweile Häftling im Haager Kriegsverbrechergefängnis – zumindest eine Wahlempfehlung für Šešelj ab. Šešelj wurde nicht Präsident, dafür saß er ein Jahr später selbst in Den Haag ein.

Besonders freuen wird sich Šešelj über Nikolićs Sieg vermutlich nicht. Denn Nikolić hat offiziell den nationalistischen Hardcore-Weg verlassen, den sein früherer Chef vorgegeben hat. Offiziell ist Serbiens künftiger Präsident mittlerweile „moderat“ und für den Beitritt seines Landes zur Europäischen Union. Wie moderat er sich an der Spitze des Staates verhalten wird, muss sich erst zeigen. Von Amtswegen kann der serbische Präsident in etwa genauso viel anstellen wie der österreichische Bundespräsident. Das muss nicht sehr viel, kann aber gar nicht so wenig sein. Doch es entbehrt nicht einer gewissen Symbolik, dass Miloševićs einstiger Vizepremier nun an der Spitze des Staates steht. So lange ist es nicht her, dass Nikolićs Brandreden zum Kosovo verklungen sind.

EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy gratulierten dem Wahlsieger – jedoch nicht, ohne ihn zu ermahnen, den Weg in Richtung Europäische Union „mit besonderer Entschlossenheit“ weiterzuführen. Serbien hat seit Anfang des Jahres den Status eines Beitrittskandidaten. Dafür musste das Land einige Leistungen erbringen – unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal für Exjugoslawien. Bereits 2008 wurde der einstige Chef der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, in Serbien geschnappt und an Den Haag ausgeliefert. Und im Mai vergangenen Jahres – kurz bevor ein Fortschrittsbericht der EU-Kommission ins Haus stand, fand Serbiens Polizei ganz überraschend den seit Jahren untergetauchten Ex-General Ratko Mladić im Haus eines Verwandten. Der einstige Armeechef der bosnischen Serben steht derzeit unter anderem wegen des Massakers in der bosnischen Stadt Srebrenica vor dem Sondergericht in den Niederlanden. Würde Serbien nicht in die EU wollen, würde Mladić heute wohl noch immer völlig ungestört im Haus seines Verwandten leben. Und Serbiens künftiger Präsident Nikolić würde das vermutlich auch gut finden.

Der Wunsch vieler Staaten, Mitglied in der EU zu werden, ist seit Jahren eine der wichtigsten Waffen im Soft-Power-Arsenal der Union. Mit der Beitrittsperspektive erzwang man nicht nur die Auslieferung serbischer und kroatischer Kriegsverbrecher. Man schaffte damit auch, 2001 die Scharmützel zwischen albanischen Aufständischen und mazedonischen Sicherheitskräften zu beenden. Wegen des Namensstreits mit Griechenland hängt Mazedonien seither aber in der Warteschlange.

Schon vor dem Engagement in Südosteuropa spielten bei der Aufnahme neuer Staaten nicht immer nur die peinlich genaue Einhaltung bestimmter Kriterien eine Rolle, sondern auch politische Überlegungen. Das war bei der Erweiterung um Rumänien und Bulgarien und auch bei der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone so. Und genau hier liegt auch die Gefahr: für die EU selbst, die mit ihren Krisen nur mehr schwer fertig zu werden scheint, und damit auch für die Schlagkraft ihrer Soft Power „Beitrittsperspektive“. Denn ein Klub bleibt für künftige Mitglieder nur dann attraktiv, wenn er gut funktioniert und interne Probleme meistern kann. In Brüssel wird man deshalb sehr genau darauf schauen müssen, ob künftige Mitglieder wie Serbien alle Kriterien erfüllen, bevor sie aufgenommen werden.

Tomislav Nikolić hat sich von den Vorzügen eines EU-Beitritts offenbar bereits überzeugen lassen. Jetzt muss nur noch er die EU von seiner Läuterung überzeugen. Sein einstiger Mentor Šešelj wäre darüber sicher nicht erbaut.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Die wundersame Auferstehung des "Totengräbers" Tomislav Nikolić

Der neue serbische Präsident hat einen weiten Weg zurückgelegt: Vom nationalistischen Scharfmacher zum vorgeblich streichelweichen EU-Cheerleader.
Serbien: Nikolic gewinnt überraschend Präsidenten-Wahl
Außenpolitik

Serbien: Nikolic gewinnt überraschend Präsidenten-Wahl

Entgegen allen Prognosen setzt sich Oppositionschef Tomislav Nikolic gegen Boris Tadic durch. Folgen für die Regierungsbildung werden erwartet. Laut Beobachtern sei die Wahl ordentlich verlaufen.
Wahl zwischen Tadi Nikoli
Außenpolitik

Wahl zwischen Tadić und Nikolić lässt Serben kalt

Äußerst geringe Beteiligung bei Stichentscheid um das serbische Präsidentenamt am Sonntag.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.