Christofias: "Euro entspricht dem Neoliberalismus, der versagt hat!

(c) AP (Petros Karadjias)
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Zyperns Präsident Dimitris Christofias kritisiert im Interview mit der "Presse" das Krisenmanagement der Regierungen der Europäischen Union und warnt vor einer "neo-ottomanischen" Türkei.

Die Presse: Zypern übernimmt am 1.Juli die EU-Präsidentschaft – mitten in der aktuellen Schuldenkrise. Wird Ihr Land eine neue Form des Krisenmanagements einbringen?

Dimitris Christofias: Das Krisenmanagement wird weiterhin kollektiv erfolgen. Wir hatten allerdings schon immer eine andere Vorstellung, wie diese Krise bereinigt werden sollte. Und ich bin sehr froh, dass derzeit innerhalb des EU-Rats und der EU-Kommission immer mehr Stimmen laut werden, die darauf hinweisen, dass Sparmaßnahmen allein nicht der einzige Weg sind, die Krise zu lösen.

Was ist die Alternative?

Ausgabenseitig muss es natürlich Kürzungen geben. Wir brauchen eine Modernisierung der Staatsapparate. Aber es muss auch Maßnahmen für mehr Wachstum und mehr soziale Kohäsion geben. Durch Sparmaßnahmen kommt es zu höherer Arbeitslosigkeit, zu einer Stagnation und das Gewicht der Krise fällt auf die Schultern der Schwächeren in der Gesellschaft. Die Art, wie die Krise derzeit behandelt wird, führt dazu, dass entweder die Reichen noch reicher werden oder ihre Reichtümer nicht verlieren, während die Mittelschicht ihren Wohlstand verliert und die bereits Armen noch ärmer werden. Wir brauchen wieder ein Europa der Solidarität. Das ist ein Wert, der verloren gegangen ist.

Wird sich Zypern an der Forderung des neuen französischen Präsidenten, François Hollande, nach einer Neuverhandlung des Fiskalpakts beteiligen?

Wir werden uns die Details noch erklären lassen. Aber im Allgemeinen klingt sein Vorschlag sehr attraktiv.

In Griechenland werden nach der gescheiterten Regierungsbildung im Juni Neuwahlen stattfinden. Indirekt könnten diese Wahlen zur Volksabstimmung über den Euro werden. Was wären die Auswirkungen für Ihr Land, wenn Griechenland den Euro verlässt?

Ob es einen Austritt gibt oder nicht, die Auswirkungen der Krise sind für Zypern schon sehr schwer. Das hängt damit zusammen, dass unsere Banken sehr exponiert sind, weil sie viele griechische Anleihen halten. Statt Griechenland zu drohen, dass es den Euro verlassen muss, sollte dem Land geholfen werden. Natürlich werden wir alle zahlen müssen – manche mehr, manche weniger. Aber das ist auch der Sinn der Solidarität. Es ist nicht die Schuld des einzelnen griechischen Bürgers, dass es so weit gekommen ist, es ist das System. Ein System, das den Markt vergöttert, ohne ihn zu kontrollieren. Auch ohne Griechenland gibt es eine Krise in der Eurozone. Mit ein Problem ist, dass wir alle der gemeinsamen Währung ausgesetzt sind. Deshalb bekommen wir alle auch die Auswirkungen der Krise zu spüren.

War die Währungsunion also ein Fehler?

Manche sagen, wir waren voreilig. Manche sind meiner Meinung, dass diese Währungsunion dem neoliberalen Geist entspricht, welcher versagt hat.

Der zypriotische EU-Vorsitz wird von der Türkei boykottiert. Stört Sie das?

Natürlich stört uns das, aber es sollte die ganze EU stören. Wir werden nicht verzweifeln, weil die Türkei während des zypriotischen Vorsitzes nicht über ihren Beitritt verhandeln will. Es zeugt von einem Hochmut eines Landes, wenn die Türkei sich so verhält, als ob die Europäische Union ihren Beitritt unbedingt will und nicht umgekehrt. Dieses Verhalten der türkischen Regierung geht mit Drohungen einher, die im Zusammenhang mit den Gasfeldern vor der Küste Zypern stehen. Wir erwarten, dass die EU hier auch eine starke Reaktion setzt. Wir reichen der Türkei die Hand, damit wir zu einer Lösung kommen. Falls die Türkei diese ausgestreckte Hand annimmt, wird auch sie in den Genuss einer Vorzugsbehandlung kommen – natürlich auf Basis eines vereinten Zyperns. Die Entdeckung von Gasvorkommen ist eine Chance für alle Länder dieser Region. Wir haben die Chance, diese Vorkommen gemeinsam zu erschließen. Die Kanonenboot-Politik, die die Türkei derzeit verfolgt, führt nur zu Konflikten. Wir werden diesem Druck sicher nicht nachgeben.

Ist damit zu rechnen, dass es in
Zukunft noch militärische Auseinandersetzungen um die Gasfelder geben wird?

Ein militärisches Problem besteht ja bereits. Es sind 40.000 türkische Soldaten im besetzten Nordteil von Zypern stationiert. Ob die Türkei halsbrecherische Aktionen lostreten will, werden wir sehen, ich hoffe es aber nicht.

Wäre ein türkischer EU-Beitritt eine Lösung, um die Konflikte in der Region zu bereinigen?

Natürlich wäre es positiv, wenn die Türkei EU-Recht einhalten müsste. Wenn sich die Türkei wie ein europäisches Land verhält, dann sind die Auswirkungen tatsächlich positiv. Wenn die Türkei aber glaubt, sie kann den anderen EU-Ländern ihre neo-ottomanische Idee aufzwingen, dann ist das nicht positiv. Wenn sie sich weiterhin so verhält, wird sie aber sowieso keine Akzeptanz in der Europäischen Union finden.

Zur Person

Dimitris Christofias ist der einzige kommunistische Staatschef der EU. Am 1.Juli übernimmt sein Land die halbjährige Präsidentschaft. Zur Vorbereitung reist er derzeit durch die EU-Hauptstädte. Christofias wurde 2008 zum Präsidenten gewählt. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie in der heute türkisch besetzten Hafenstadt Kyrenia. Seit seinem 18. Lebensjahr ist er Mitglied der linksgerichteten AKEL. Sein Studium der Sozialwissenschaften absolvierte er in Moskau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2012)

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