Garelli: „Mehr Industrie statt einfach nur sparen“

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Griechenland muss beim Euro bleiben, Europa seine Industrie zurückholen und die Österreicher endlich verstehen, dass sie über ihre Verhältnisse leben, sagt Stéphane Garelli, Chef des Schweizer IMD-Instituts.

Die Presse: Österreich hat in den vergangenen fünf Jahren zehn Plätze im Wettbewerbsranking ihres Instituts eingebüßt. Warum?

Stéphane Garelli: Österreich ist immer noch in einer relativ guten Position. Aber es gibt zwei, drei Dinge, die uns Sorgen machen: Das Land muss die Lücken bei der Frühpension stopfen. Was uns noch mehr verunsichert, ist aber alles, was unterhalb der Bundesebene passiert. Es braucht Finanzreformen bei Ländern und Gemeinden. Ähnliches beobachten wir auch in Deutschland und noch schlimmer in Spanien. Die Steuererhöhungen des vergangenen Jahres werden sich erst im nächsten Ranking voll auswirken. Heute ist die große Frage, wie die österreichische Wirtschaft wieder zum Leben erweckt werden kann.

Wie könnte das geschehen? Sie plädieren ja für ein Comeback der europäischen Industrie. Wie sind da die jüngsten Lohnsteigerungen der Deutschen zu bewerten?

Österreich hat die Inflation im Moment unter Kontrolle. Da gibt es also einen Spielraum, der wohl auch genützt werden wird. Ich rechne damit, dass in den kommenden Jahren in ganz Europa ein höheres Level an Inflation akzeptiert werden wird. Das ist nun einmal ein guter Weg, um den Konsum im Land wieder anzukurbeln.

In der Debatte Sparen vs. Wachstum heißt das also: Besser mehr Industrie ins Land holen, als den Gürtel enger schnallen?

Europa braucht beides. Vor allem in den reichen Ländern haben wir aber ein Problem: Die meisten Menschen können ein ganzes Jahr lang nichts Neues einkaufen, ohne dabei gleich an Lebensqualität einzubüßen. Sparen allein wird also nicht reichen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Staaten müssen zwar ihre Budgetprobleme unbedingt lösen. Gleichzeitig sage ich: lieber mehr Industrie statt einfach nur sparen. Das sind Investitionen in die Zukunft.

Für die Regierungen ist das natürlich ein willkommener Weg, um sich als Retter der Jobs darzustellen. Österreich liegt bei den Staatsausgaben aber schon auf Rang 54 von 59 Ländern.

In den vergangenen Jahren der Globalisierung haben wir zwei Dinge gelernt. Erstens: Die Lieferketten werden immer länger und sind teilweise schon zu komplex. Zweitens: Die Lohnvorteile in China und Indien sind nicht mehr so hoch, wie sie schon waren. Stattdessen haben sich die westlichen Staaten mit China einen starken Konkurrenten herangezüchtet. Die Politiker stehen nun unter Druck, Arbeitsplätze in ihren eigenen Ländern zu ermöglichen. Frankreich hat einen eigenen Minister für Re-Industrialisierung ernannt. Österreich hat zwar starke Unternehmen in allen Größen, weist aber trotzdem eine negative Handelsbilanz auf. Das darf eigentlich nicht sein. Vor allem die kleinen Firmen brauchen Hilfe, um stärker in den Export gehen zu können.

Ist der Aufbau einer starken Industrie auch für Europas Krisenstaaten ein gangbarer Weg? Oder ist dort schon zu viel Zeit verloren gegangen?

Manche Länder haben ja bereits eine beachtliche Kehrtwende hinter sich gebracht. Etwa Irland. Aber auch Italien hat eine exportstarke Industrie. Das darf man nicht unterschätzen. Schwierig wird es etwa für Griechenland.

Können die Griechen wieder wettbewerbsfähig werden, ohne den Euro zu verlassen?

Athen darf den Euro in der jetzigen Situation nicht verlassen. Das wäre eine Katastrophe für das ganze Land. Die Regierung hat nicht die Kapazitäten, schnell genug eine Ersatzwährung bereitzustellen. Selbst wenn, würde eine Hyperinflation einsetzen und niemand würde die neue Drachme akzeptieren. Zwei Drittel der Griechen wissen das und sind gegen einen Austritt. Aber natürlich muss man abwarten, was bei den Wahlen am 17. Juni herauskommt.

Das wird tatsächlich spannend, denn der Sparkurs, der mit einem Verbleib in der Eurogruppe verbunden ist, stößt auf wenig Gegenliebe. Nicht nur in Athen. Österreich schafft es in Ihrer Studie bei der Frage, ob die Menschen die Notwendigkeit der Reformen verstehen, auf Platz 47.

Das ist das Problem aller reichen Länder. Die Leute leben in einem guten System und denken gar nicht daran, es zu ändern. Auch dann nicht, wenn sie es sich schon lange nicht mehr leisten können. Nicht nur Österreich, ganz Europa lebt über seine Verhältnisse. Auf Kosten der nächsten Generation.

Und die Regierungen setzen alles daran, dass sich daran auch so schnell nichts ändern wird.

Politiker haben ein Problem, und das ist ihre extrem kurze Lebenszeit. Aber in Österreich kommt langsam etwas in Bewegung. Was mich hier immer überrascht, ist, wie wenige Menschen arbeiten. Nur 51 Prozent aller Österreicher im erwerbsfähigen Alter sind berufstätig. In der Schweiz sind es 61 Prozent.

Womit wir wieder beim Thema Pensionsreform wären . . .

Nicht nur, auch die Wirtschaft muss flexibler werden. Die Firmen müssen Frauen mehr Möglichkeiten bieten, nach einer Geburt schneller in den Beruf zurückzukommen.

Sie vergleichen die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten jetzt seit 25 Jahren. Die Schwachstellen sind oft dieselben geblieben. Ist es nicht entmutigend, dass sich daran so wenig ändert?

Es ist natürlich immer eine Sache, die Fehler aufzudecken und eine ganz andere, sie auch tatsächlich zu beheben. Wir leben nun einmal in einem sehr konservativen System. Und viele sehen nicht, dass es da mehr Einsatz bräuchte.

Inwiefern?

Viele Franzosen sagen: Wir wollen gar nicht mehr haben, wir wollen nur unseren Standard halten. Dafür soll sich am besten nichts ändern. Das reicht aber nicht. Wettbewerbsfähigkeit ist wie Fahrradfahren: Es muss vorangehen, sonst fällt man um.

Zuletzt haben Ratingagenturen und Märkte die Rolle übernommen, Druck auf Europas Regierungen auszuüben. Ist das ein gangbarer Weg?

Es war gut, dass die Ratingagenturen das System erschüttert haben. Auf lange Sicht muss der Druck aber vom Volk kommen.

Auf einen Blick

Stéphane Garelli (60) unterrichtet am
International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne. Als Direktor des IMD World Competitiveness Center prüft der Schweizer jedes Jahr jährlich knapp 60 Länder auf ihre Wettbewerbsfähigkeit.

Der Ökonom ist kein reiner Theoretiker. Er sitzt im Aufsichtsrat von „Le Temps“, der führenden französischsprachigen Zeitung in der Schweiz. Zuvor war Garelli im Kontrollgremium der Sandoz Financial Holding und der Banque Edouard Constant. [Unisys]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2012)

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