Ex-Spion: "Man muss Menschen rühren, nicht schütteln"

ExAgent muss Menschen ruehren
ExAgent muss Menschen ruehren(c) Leo Martin
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serie"Leo Martin" war zehn Jahre lang Agent des deutschen Geheimdiensts (BND). Der Autor von "Ich krieg dich" spricht mit DiePresse.com über das Leben mit einer Handvoll Identitäten.

DiePresse.com: Sie werden von Medien gerne als „deutscher James Bond" bezeichnet. Was verbindet Sie mit dem wohl bekanntesten Leinwand-Spion?

Leo Martin: Das ist eine Schublade, in die ich gerne gesteckt werde und in der ich mich wohl fühle. Allerdings trinke ich meinen Martini nicht geschüttelt, sondern pur, ohne Olive, on the rocks. (lacht) Wenn an einen Geheimdienst gedacht wird, kommen sofort Klischees auf: Schnelle Autos, sexy Frauen, wilde Verfolgungsjagden und Explosionen. In der Realität geht es aber darum, Puzzleteilchen, kleine Informationsbausteine zu sammeln, um am Ende ein großes Bild von einer kriminellen Organisation zu haben.

Wie kamen Sie dazu, Agent zu werden?

Ich habe eine Polizeiausbildung absolviert, aber bald bemerkt, dass das nicht der Beruf ist, in dem ich glücklich werde. Ich habe sie aber abgeschlossen, um eine Ausbildung zu haben. Wahrscheinlich, weil ich alles so locker genommen habe, war ich der beste von mehreren hundert Leuten. Bald darauf kam das Angebot, beim Geheimdienst in der Observation zu arbeiten. Das war auch nichts für mich, denn wenn eine Zielperson am Freitag um 14 Uhr von Berlin nach Stuttgart fährt, fahren sie nach Stuttgart. Fährt sie weiter nach Zürich, landen sie in Zürich. Man weiß nie, wann man seine Wohnung wiedersieht.

Ohne Geheimdienst ging es aber trotzdem nicht.

Nein, tags darauf kam der nächste Anruf: Ich solle nochmal vorbeischauen, es wäre nichts für das Telefon. Ich traf ein Urgestein der Informationsbeschaffung, einen Top-Auswerter. Er ließ mich bei einem Telefonat mithören, bei dem es um den Ankauf von zwei Kampfhubschraubern ging. Da wusste ich: hier gehöre ich hin. Allerdings musste ich dann mein Privatleben komplett hinunter schrauben. Ich studierte Kriminalwissenschaften und landete in der Analyse. In den letzten Jahren war es mein Job, Vertrauensleute (V-Leute) im Bereich der Organisierten Kriminalität - Stichwort Russenmafia - anzuwerben.

Wie gingen Sie bei der Suche nach Informanten vor?

Ich hatte stets mehrere Personen in der Mache, weshalb ich auch immer mit drei bis vier Handys unterwegs war - jedes mit einer eigenen Identität, einer Legende, einem anderen Namen verbunden.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz?

Ja, ich war damals 26 Jahre alt, top geschult, trainiert und hatte in Wirklichkeit von nichts eine Ahnung. Ich wusste, wenn ich etwas falsch mache, gefährde ich die Ermittlungsarbeit von Monaten. Und dann, obwohl ich alles durchgeplant hatte, verlief alles anders. Ausgemacht war ein Treffen zu zweit, der potenzielle V-Mann war aber umringt von Leuten. Vom Team kam der Appell: „Operation abbrechen". Ich entschied mich dagegen, versteckte im Schacht eines Rollladen eine Notiz mit einer Adresse, rief ihn an, erzählte von dem „toten Briefkasten", organisierte ein Taxi mit dem er dorthin fahren sollte und konnte ihn so wieder isolieren.

»"Wir wissen, wo du wohnst. Wenn einmal etwas passieren sollte, dann bist du weg."«

Zum Alltag eines Spions.

Gab es auch brenzlige Situationen, die Sie als Agent erlebt haben?

Es gab keine Himmelfahrtkommandos, auch trug ich aus Überzeugung nie eine Waffe. Es gab aber Momente, in denen ich geschluckt habe. Mit einem V-Mann, Tichow, fuhr ich mit meinem Auto in den Wald, wir saßen auf einem Felsen, als er meinte: „Leo, weißt du, warum ich nicht rasiert bin? Ich konnte mich nicht im Spiegel ansehen." Er litt am Verräterkomplex. V-Männer hängen von einem kriminellen Umfeld ab, das Loyalität fordert. Das forderte ich auch. Es gibt einen Gewissenskonflikt, wenn sie ehemalige Freunde und Kollegen verraten. Dann sagte er: „Ich habe einen Bruder. Der hat eine Knarre. Wir wissen, wo du wohnst. Wenn etwas passieren sollte, bist du weg." Richtig lebensbedrohlich wurde es aber nie.

In der Geheimdienstarbeit geht auch immer wieder etwas schief. 9/11 gilt als größte Blamage, weil Informationen unzureichend interpretiert wurden.

Fehler passieren immer. Wir arbeiten mit weichen Informationen, mit Hörensagen. Da ist die Interpretation immer schwierig. Würden wir jede Information, die wir bekommen, sofort für bare Münze nehmen, hätte es schon seit 15 Jahren kein Oktoberfest mehr gegeben. Heute wird aber mehr kooperiert, wobei das im Osten immer noch schwierig ist. Daneben hat 9/11 sicherlich dazu beigetragen, dass dem islamistischen Terrorismus ein höherer Stellenwert gegeben wurde. Zuvor lag der Fokus eher auf Bereichen wie dem Rechtsextremismus.

Ebenfalls neu ist, dass der britische Geheimdienst online nach Nachwuchs sucht.

Als der Eiserne Vorhang noch bestand war es so, sich bei einem Geheimdienst zu bewerben, war der sicherste Weg, nicht dort zu landen. Man hat sich nach außen abgeschottet. Heute hat sich das Blatt gewendet. Man arbeitet global zusammen, sieht sich als Einheit.

(c) Leo Martin

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Ich krieg dich!" wie man Menschen dazu bringt, Geheimnisse preiszugeben. Was sollte man tun, was unterlassen?

Das erste Mittel, an das man bei einem Geheimdienst denkt ist Geld. Da bekäme ich zwar abenteuerliche, aber realitätsferne Geschichten geliefert. Das Zweite ist Erpressung. Kommt es dazu, leiden die Betroffenen unter Amnesie. Das sind Sackgassen. Wir müssen ständig am Puls der Zeit sein. Das gelingt nur, wenn ich den richtigen V-Mann langfristig an der richtigen Stelle positionieren kann. Dabei gehen wir über die Beziehungsebene. Es muss Regeln geben, mein Gegenüber muss wissen, woran es ist, sein Gesicht wahren können - eine Begegnung auf Augenhöhe, ohne Abwertung, mit ehrlicher Anerkennung. So wird man emotional attraktiv. Nach zehn bis 15 Wochen sind Sie aus dem Leben des anderen nicht mehr wegzudenken. Oft riefen mich meine V-Männer sogar an, weil sie Krach mit der Freundin hatten, geblitzt wurden oder besoffen nachhause torkelten.

Ihre Strategie war erfolgreich. Ihre Kollegen klebten Ihnen sogar Zettel mit Smileys an die Tür: „Achtung Seelenfänger" oder „Hardcore-Soft-Skill" stand darauf. Was haben Sie anders gemacht?

Puh, wir arbeiten alle nach demselben Prinzip, ich hatte aber einen besonders hohen Wirkungsgrad. Das lag wohl auch daran, dass ich nicht jeden Auftrag angenommen habe, darauf geachtet habe, dass meine Zielpersonen zu mir passen - es waren meistens Männer in meinem Alter, plus-minus fünf Jahre. Um eine Beziehung aufzubauen braucht es Gemeinsamkeiten und Leidenschaften.

»"Seit ich Mitte 20 bin, werde ich mit wechselnden Namen angesprochen. Nur meinen bürgerlichen Namen habe ich schon länger nicht verwendet."«

Ein Leben mit mehreren Identitäten.

Vergisst man bei den ständig wechselnden Identitäten nicht, wer man ist?

Das Problem hatte ich nicht. Legenden wechseln ja nicht im Stundentakt, sondern werden so lange geritten bis sie tot sind oder Gefahr laufen, zu verbrennen. Ich hatte in den zehn Jahren beim Dienst eine Handvoll Identitäten und Decknamen, meistens zwei parallel zueinander. Seit ich Mitte 20 bin, werde ich mit wechselnden Namen angesprochen. Das fühlt sich aber nicht fremd an, da ich jeden Namen irgendwie belebt habe. Nur meinen bürgerlichen Namen habe ich schon länger nicht verwendet.

Verschwiegenheit ist Pflicht als Geheimagent. Wie geht man damit im Privatleben um?

Ich bin Geheimnisträger bis zum Tod. Es gibt Bereiche, über die ich nie sprechen werde: Namen, Zahlen, Strategien der Observation. Über Fälle darf ich nur soweit sprechen, dass sie nicht zurückverfolgt werden können. Mein privates Umfeld wusste nicht, was ich gemacht habe. Ich sagte immer, ich würde für das Ministerium arbeiten - der Geheimdienst ist diesem unterstellt -, mache Bekämpfungskonzepte gegen Organisierte Kriminalität. Das Motto: Wenn der Minister pfeift, springt der Leo. Ich erzählte immer sehr langweilig, es klang nach einem Schreibtischjob. Kamen Nachfragen, flüchtete ich mich in Witzeleien. Die einzige Ausnahme ist die Partnerschaft. Der Partner erlebt ja, wenn ich in der Nacht aufstehe, tagelang unterwegs bin und sieht, dass vier Handys am Nachtkästchen liegen.

Warum haben Sie Ihre Karriere beim BND beendet und beschlossen Bücher zu schreiben und Vorträge zu halten?

Es gab viele Gründe: Ich führte ein unstetes Leben, Freunde verabschiedeten sich, nachdem ich immer wieder Treffen abgesagt hatte. Auch die Familien- und Kinderplanung ist schwierig. Der Sport - ich machte Kampfsport, Jujutsu, und habe lange geturnt - blieb ebenfalls auf der Strecke. Alles führte zu dieser Entscheidung.

Dann sind Sie zu einem Verlag und erklärten, dass Sie Ex-Agent seien und ein Buch schreiben möchten?

(lacht) Das war eine witzige Geschichte. Ich habe mit einer Handvoll Verlagen gesprochen, alle wollten mit mir arbeiten. Schlussendlich war das Buch fertig, es lag gedruckt auf Paletten in der Lagerhalle, zehn Tage vor der Veröffentlichung. Einen Vertrag gab es aber nicht. Dann fragten sie mich: „Du Leo, warst du wirklich ein Spion?" Der Grund: Kurz zuvor hatte eine Ex-Soldatin über einen Einsatz in einem Krisengebiet in den Medien berichtet, Leute angeprangert und bloßgestellt. Es stellte sich heraus, dass die Geschichte erfunden war. Ich fuhr also nachhause und marschierte mit einem Stapel Urkunden und Ausweisen wieder auf.

Hat sich die Arbeit der Geheimdienste verändert? Wie sieht die Zukunft für Agenten aus?

Unsere Aufgabe ist seit jeher, Informationen aus einer Szene zu beschaffen, die bewusst täuscht und tarnt. Wir infiltrieren solche Organisationen auf technischem Wege, durch V-Leute oder Undercover-Agents, die selbst in dieser Szene leben. Das ist der klassische Weg, damals wie heute. Mein Motto dabei war immer: Ein Nein ist kein Nein. Man muss dranbleiben und hartnäckig sein - und nie vergessen: Um Informationen zu bekommen muss man smart sein, sich immer eine Tür offen lassen. Im Klartext: Man muss Menschen rühren, nicht schütteln - nur über die Beziehungsebene kommt man zum Ziel.

Zur Person

Leo Martin wurde 1976 geboren, absolvierte eine Polizeiausbildung und studierte Kriminalwissenschaften. Zehn Jahre lang war er für den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) im Bereich der Organisierten Kriminalität tätig. Seine Aufgabe war das Anwerben und Führen von Informanten. Heute arbeitet er in der Unternehmensberatung, ist Verfasser des Bestsellers „Ich krieg dich! Menschen für sich gewinnen", Mitglied der German Speaker's Association und hält Vorträge über „Geheimwaffen der Kommunikation".

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