Zugehört wird in Sydney, lesen kann man hie und da auch in Wien

Ein Enkelschüler von Schönberg, das ist auch so etwas wie der Urenkelschüler von Gustav Mahler. Aber da kommt man erst ziemlich langsam dahinter.

Die Wiener Schule, die sogenannte „Zweite Wiener Schule“, sie gilt längst als Problemfall in der jüngeren Musikgeschichte. War das, was Schönberg, Berg und Webern getan haben, zukunftsträchtig? Hat nicht schon Berg mit seinen einschlägigen Werken erwiesen, dass des Lehrers Thesen von einer Sicherung der „Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre“ eine Schimäre war: Zwölftonmusik, die unter Umgehung aller Prämissen die Möglichkeit bietet, auch wieder B-Dur-Akkorde sinnvoll zu integrieren . . .

Hat nicht längst die „Dritte Wiener Schule“ im Gefolge eines Gottfried von Einem die Rückkehr in den Schoß der Tradition eingeleitet?

Mit Rainer Bischof haben wir einen Komponisten, der vom Gegenteil überzeugt ist und gegen den Zeitgeist weiterhin überzeugter „Zwölftöner“ geblieben ist. Immer wieder staunen Hörer, dass es Musik geben kann, die streng „nach der Regel Gebot“ gebaut ist, und doch vom Ausdruckswillen ihres Schöpfers kündet. Wann immer Musik Rainer Bischofs gespielt wird, geht das so; also vor allem im Ausland . . .

Das Aufregendste an diesem Mann ist, dass er alles, was er tut, mit stupender Präzision begründen kann. Denn er ist nicht nur Kompositionsschüler Hans Erich Apostels, also ein echter Schönbergianer in „dritter Generation“, sondern auch ein Abkömmling der Wiener philosophischen Fakultät – und bezieht in geistigen Dingen genauso klar Stellung wie in harmonischen; also er weiß auch, was sich über Sir Karl Popper sagen lässt, wenn man einmal nicht freundlich sein möchte.

Bischof tut das ebenso gern und mit ebenso viel Kennerschaft wie er über die Philosophie des Stierkampfs zu referieren weiß – so, dass auch enragierte Tierschützer kurzfristig Zweifel an ihrer Gesinnung befällt.

Bischof ist auch der beste Beweis dafür, dass jemand, der das sogenannte „Pensionsalter“ erreicht, nicht automatisch Lust verspüren muss, alle viere von sich zu strecken oder in der Hängematte zu verknäueln. Nicht in Wien, versteht sich, da hat man ihn längst pensioniert, aber im Ausland hält er Vorträge, immer wieder wird er eingeladen, sogar nach Südamerika.

In bemerkenswertem Kontext referiert er dann über die Beziehung zwischen Gustav Mahler und Arnold Schönberg. Im Rahmen einer spannenden Vortragsreihe, in der etwa auch ein Michael Nyman über das Verhältnis von Musik und bildender Kunst im kommerziellen Film erzählt und zum Nachdenken anregt.

Nicht in Wien. In Australien, in der Universität von Sydney.

Das fällt mir gerade ein, weil Bischof dieser Tage Geburtstag feiert und für heimische Neugierige immerhin als Präsident der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft einen Beitrag in einer insgesamt lesenswerten Publikation veröffentlicht hat, in der etwa auch Erich W. Partsch endlich die oft zitierte, aber zuvor nie gründlich aufgearbeitete Beziehung von Mahlers Musik und dem Naturerlebnis erläutert, in der auch die Relation zwischen Musik und Psychoanalyse und/oder Religion zum Thema wird. Dieses Buch, „Mahler im Kontext“ ist soeben erschienen. Sogar in Wien, man soll ja nicht nur jammern.

E-Mails:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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