Wir haben zu wenig Erfahrung im Umgang mit Dauerkrisen

Wir Mitteleuropäer der mittleren Generation wissen nicht, wie es ist, lange in einer unsicheren Situation zu leben. Wir brauchen schnelle Rettungen oder Untergänge.

Ungefähr neun Monate muss es her sein, dass George Soros, einer der ganz Großen des Geldgeschäftes, bei einem Abendessen im kleinen Kreis in einem Wiener Traditionsrestaurant erklärt hat, dass die Europäer noch drei Monate Zeit hätten, um den Euro zu retten. Mehr nicht. Jetzt bekommen wir und der Euro wieder eine Chance, allerdings wieder die letzte: Christine Lagarde, frühere Finanzministerin der Grande Nation und heute Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), erklärte kürzlich, dass zur Rettung des Euro noch genau drei Monate blieben.

Den Euro retten, das hieß damals und das heißt heute in den Augen der Deutschland-Kritiker: mehr Geld drucken, Garantien abgeben, klarmachen, dass die anderen Europäer sprichwörtlich um jeden Preis dafür sorgen würden, Griechenland und die anderen Wackelkandidaten im Euro zu halten. Die deutsche Fantasie von der schwäbischen Hausfrau, die durch Sparsamkeit den etwas aus der Balance geratenen Haushalt wieder in Ordnung bringen müsse, sei nicht nur naiv, sagen die Deutschland-Kritiker, sondern sogar gemeingefährlich.

Dem als „Dr. Doom“ bekannt gewordenen Ökonomen Nouriel Roubini und dem Harvard-Historiker Niall Ferguson (Autor einer großartigen Geschichte des Finanzmarktgeschehens unter dem Titel „The Ascent of Money“) blieb es vergangene Woche vorbehalten, die große Keule gegen Deutschland zu schwingen: Reichskanzler Brünings Austeritätspolitik habe in Kombination mit der europäischen Bankenkrise Anfang der 1930er-Jahre die Deutschen Hitler in die Arme getrieben, schrieben Ferguson und Roubini in einem gemeinsamen Text für die „Financial Times“, den auch der „Spiegel“ übernahm. Angela Merkel müsse sich bewusst sein, dass ihr Festhalten an der Sparpolitik angesichts der heutigen europäischen Bankenkrise wieder zu einer Gefährdung der ohnehin fragiler gewordenen Demokratie führen könne.

Wo die Argumente aufhören, beginnen die apokalyptischen Fantasien, das ist nicht neu. Der große Angriff mit der historischen Moralkeule wird seinerseits die zentrale Verschwörungstheorie befeuern, die man hierzulande auch von Spitzenbankern hören kann: Wir befinden uns in einem transatlantischen Währungskrieg, den die Amerikaner begonnen haben, weil sie um den Status des Dollar als weltweiter Leitwährung fürchten. Ohne diesen Status wäre es den Amerikanern, deren Haushaltssituation noch viel schlimmer ist als die der meisten europäischen Staaten, schon lange nicht mehr möglich, ihre Schulden zu exportieren.

Noch wissen wir nicht, wann unsere nächste, vermutlich ebenfalls letzte Dreimonatsfrist zur Verhinderung des Weltuntergangs beginnen wird. Ziemlich sicher ist nur, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden, für die es kaum historische Präzedenzen – der Vergleich Brüning/Merkel hinkt nicht, er fährt im Rollstuhl – und für deren Bereinigung es kein Patentrezept gibt.

Die Welt im Allgemeinen und der Euro im Besonderen werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch dann nicht innerhalb der kommenden drei Monate untergehen, wenn alle nichts tun. Und auch der Ausgang der griechischen Parlamentswahlen samt ihren Konsequenzen für diese oder jene Regierungskonstellation wird nicht der eine Punkt sein, an dem sich Europas Wohl und Wehe entscheidet.


Wir Mitteleuropäer der mittleren Generation haben, das zeigt sich jetzt, zu wenig Erfahrung im Umgang mit Dauerkrisensituationen. Dass eine unübersichtliche, schwer lösbare Situation sich über Jahre zieht, halten wir schlecht aus, da muss dann schnell einmal eine Rettung oder ein Untergang her, damit wir uns wieder orientieren können. Die Bürger der ehemaligen Ostblockstaaten sind da geübter, das wird mit ein Grund dafür sein, dass sie in der derzeitigen Situation deutlich gelassener agieren.

Viel mehr als Trends ablesen, die durch das eine oder das andere Set von Entscheidungen beeinflusst werden, kann man derzeit nicht. Die zeitlich präzisen Prognosen der Apokalyptiker fußen nicht auf mehr Wissen, sondern auf mehr Angst.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2012)

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