Migration: Junge ziehen nach Wien

Studenten aus den Bundesländern sorgen für die jährliche Blutauffrischung in der Hauptstadt. Immer mehr Familien mit Kindern zieht es dagegen in den "Speckgürtel" rund um Wien.

Der wesentliche Bestandteil der Wiener Genetik trägt die chemische Formel NÖ-OÖ-St-S-T-V-K-B", konstatierte einst der Journalist Helmut A. Gansterer. Und er hat damit nicht Unrecht: Nicht nur er - ein Niederösterreicher - sondern viele Künstler, Wirtschaftsbosse, Prominente, die die Hauptstadt großzügig ihr eigen nennt, kommen, wie die heute startende "Presse-Serie" zeigen wird, aus den Bundesländern. "Ohne uns", schreibt Gansterer, "wäre Wien mausetot." Oder zumindest recht leer.

Tatsächlich ziehen jedes Jahr zwischen 25.000 und 30.000 Menschen aus den Bundesländern nach Wien. Den größten Anteil an der regelmäßigen Blutauffrischung trägt dabei die sogenannte Bildungsmigration, junge Menschen, die zum Studieren in die Hauptstadt kommen.

Ein bestimmtes Schema der Verteilung nach Bundesländern innerhalb von Wien gibt es dabei nicht. Bevölkerungsexperte Gustav Lebhart von der Statistik Austria sieht lediglich zwei Tendenzen: Studenten würden billige Wohnungen bzw. solche in Uni-Nähe bevorzugen. Und genauso wie bei der internationalen Migration neige man - auf Grund von Kontakten zu Freunden, Bundesländer-Studentenheimen etc. - dazu, sich dort anzusiedeln, wo bereits Leute aus dem eigenen Bundesland sitzen. So haben sich etwa laut Statistik 2003/2004 die meisten Kärntner für den Alsergrund, Oberösterreicher und Steirer vor allem für die Leopoldstadt, Tiroler in erster Linie für Landstraße und Favoriten entschieden.

Dass die Zuwanderer aus den Bundesländern zunächst gerne unter sich bleiben, hat einen simplen Grund: "Wien ist Österreichs einzige Millionenstadt, die Menschen müssen sich erst an die Stadtkultur gewöhnen", sagt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer. Damit sind Kleinigkeiten wie "Nicht-Grüßen-im-Bus", aber auch Fundamentales wie Autoverkehr, die Menschenmenge oder der "Wiener Grant" gemeint: "Der ist für manche sicher ein Schock", so Ehmayer. Positiv wie negativ wird die urbane Anonymität erlebt: Der eine fühlt sich befreit, der andere einsam.

Für die Entwicklung der Stadt spielen allerdings nur jene eine Rolle, die - um die deutsche Pop-Gruppe "Wir sind Helden" zu zitieren - "gekommen sind, um zu bleiben". "Natürlich bringt Fluktuation eine Dynamik in die Stadt und Studentenkultur- und -szene gehört einfach dazu", meint Ehmayer. Aber: "Die, die hier nur temporär sind, gründen keine neuen Lokale. Die haben kein Interesse, die Stadt zu gestalten."

Trotz der regelmäßigen Ströme an jungen Menschen verzeichnet Wien dennoch eine insgesamt negative Wanderungsbilanz. Das bedeutet, dass mehr Menschen aus der Hauptstadt wegziehen als von den Bundesländern nach Wien kommen. Hauptverantwortlich dafür sind Niederösterreich und das Burgenland. Zwar übersiedelten etwa im Jahr 2004 rund 13.000 Menschen von Niederösterreich nach Wien, umgekehrt waren es jedoch fast 20.000. Der selbe Effekt, wenn auch weniger stark, trifft auf das Burgenland zu.

Die Abwanderer sind zum Großteil junge Familien mit Kindern. Denn im Alter zwischen 30 und 40 Jahren gibt es eine Tendenz, ins Umland zu ziehen, den sogenannten Speckgürtel. "Dabei handelt es sich um Menschen mit höheren Einkommen", so Lebhart. Denn die hohen Wohnungs- und Grundstückspreise in Orten wie Perchtoldsdorf oder Mödling seien nicht für jedermann leistbar. Weniger einkommensstarke Gruppen würden in den Norden Wiens, etwa um Gänserndorf, ziehen.

Dass Zuwanderer aus den Bundesländern nach dem Studium wieder in ihre Heimat zurückkehren kommt nicht so häufig vor. "Und es gibt natürlich auch Gruppen, die im urbanen Umfeld bleiben", so Lebhart, etwa die "Dinks" (Double Income, no Kids). Aber auch die "Lats" (Living apart together), Lebensgemeinschaften mit jeweils eigener Wohnung, halten vermehrt dem urbanen Raum die Treue. Und wer keine Familie hat, für den ist laut Lebhart der Speckgürtel sowieso kaum attraktiv: "Kein Single wird in den suburbanen Raum ziehen."

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