Neue alte Zellen züchten

Seit seiner Diplomarbeit beschäftigt sich Jerome Mertens damit, wie man in der Petrischale Nervenzellen für die Alzheimerforschung züchtet.
Seit seiner Diplomarbeit beschäftigt sich Jerome Mertens damit, wie man in der Petrischale Nervenzellen für die Alzheimerforschung züchtet.(c) Thomas Steinlechner
  • Drucken

Um die Alzheimerforschung voranzutreiben, arbeitet der Innsbrucker Molekularbiologe Jerome Mertens mit speziellen Zellen, aus denen man die Spuren des Alterns lesen kann.

Immer wieder machen neue Therapieansätze gegen Alzheimer Schlagzeilen, immer wieder läuft die Forschung an der häufigsten aller Demenzerkrankungen ins Leere. Weltweit leiden rund 50 Millionen Menschen daran, laut WHO soll sich diese Zahl in den nächsten 30 Jahren verdreifachen. Doch wie die Krankheit entsteht und wodurch sie ausgelöst wird, ist in den meisten Fällen noch unklar. Jerome Mertens, Molekularbiologe an der Universität Innsbruck, will daher neue Wege beschreiten, um das Nervenleiden besser zu verstehen.

„Oft wird die Krankheit im Tiermodell simuliert, oder in der Zellkultur mit Nervenzellen, die man aus Stammzellen züchtet. Dabei wird aber der wichtigste Faktor für das Entstehen der Krankheit im Menschen ausgeklammert: das Altern“, erklärt Mertens. Denn Labormäuse, die durch bestimmte Genveränderungen Alzheimer bekommen, werden nicht viel älter als zwei Jahre. Neuronen, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) herangezüchtet werden, fehlen sämtliche Spuren des Alterns.

Zwar lassen sich in einem solchen experimentellen Setting die vererbten Fälle von Alzheimer gut untersuchen, doch nur circa zwei Prozent der Erkrankungen sind eindeutig genetisch bedingt. Bei den übrigen 98 Prozent handelt es sich vermutlich um ein komplexes Zusammenspiel aus Genetik, Umwelteinflüssen und normalen Alterungsprozessen, die sich im Laufe der Zeit – meist jenseits des 65. Lebensjahres – einstellen.

Um diese Mischung auch in der Zellkultur untersuchen zu können, hat Mertens ein neues Verfahren entwickelt, um Nervenzellen in der Petrischale zu züchten. „Der klassische Weg wäre, aus einer Hautzelle iPS-Zellen zu machen und diese dann zu Neuronen reifen zu lassen. Unser Verfahren macht dagegen direkt aus der Hautzelle eine Nervenzelle, wodurch die messbaren Größen des Alterns im Prinzip nicht angerührt werden und man eine neue Nervenzelle erhält, die alt ist.“ Mit einer breiten Palette an Experimenten, bei denen große Mengen an Daten erhoben werden, will Mertens auf diese Weise erzeugte junge, alte gesunde und alte kranke Neuronen miteinander vergleichen und herausfinden, welche Unterschiede für die Entstehung von Alzheimer entscheidend sind. Mit seinem Vorhaben konnte der 36 Jahre junge Forscher, der in Innsbruck das Neural Aging Labor leitet, kürzlich eine mit 1,5 Millionen Euro dotierte Förderung des Europäischen Forschungsrats ERC einwerben.

Hoch hinaus in Beruf und Freizeit

Angesichts dieser Erfolge möchte man meinen, dass Mertens die naturwissenschaftliche Karriere in die Wiege gelegt wurde – das Gegenteil sei der Fall gewesen, betont er: Beide Eltern sowie Onkel und Tante des in Niedersachsen geborenen Forschers sind Juristen. „Bis zum Abitur habe ich eigentlich nie in Betracht gezogen, Naturwissenschaftler zu werden“, erinnert sich Mertens. „Doch an der Uni in Bielefeld habe ich dann mit Biochemie begonnen, weil es mir während meiner Schulzeit immer Spaß gemacht hat und ich etwas anderes machen wollte als meine Eltern.“

Mertens Interesse an der Forschung war geweckt, es zog ihn aber in den medizinischen Bereich. An der Universität Bonn schrieb er sich kurze Zeit später für molekulare Biomedizin ein, hier nahm er die entscheidende Abzweigung für seinen späteren Berufsweg. „Nach einem vierwöchigen Praktikum im Labor von Oliver Brüstle war mir klar, dass ich mit Stammzellen arbeiten wollte“, sagt Mertens. Er blieb in dem Labor für seine Diplom- und Doktorarbeit, für die er sich bereits damals mit Alzheimer beschäftigte. Seinen Postdoc absolvierte er anschließend im US-amerikanischen San Diego in der Gruppe von Rusty Gage am renommierten Salk Institute.

Als 2017 schließlich das Angebot aus Innsbruck kam, ein eigenes Labor zu leiten, war Mertens klar, dass es Zeit war, nach Europa zurückzukehren. Nicht zuletzt, weil der Forscher auch in seiner Freizeit hoch hinaus will: Der beste Ausgleich zur Laborarbeit, so Mertens, sei das Gleitschirmfliegen. Und nirgends böten sich dafür bessere Bedingungen als in den Tiroler Alpen.

ZUR PERSON

Jerome Mertens, Jahrgang 1983, hat molekulare Biomedizin an der Uni Bonn studiert, wo er 2012 summa cum laude promovierte. Als Postdoc war er am Salk Institute im US-amerikanischen San Diego tätig. Seit 2017 ist er Assistenzprofessor an der Uni Innsbruck und leitet dort das Neural Aging Labor. Im September 2019 erhielt er für seine Forschung einen mit 1,5 Mio. Euro dotierten ERC Starting Grant.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.