Proteste: Der Aufstand der Wiener Bürger

Proteste Aufstand Wiener Buerger
Proteste Aufstand Wiener Buerger(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Sie kämpfen gegen Privatisierungen, Garagen, islamische Zentren und Wohnungen sowie für Ziesel und die Erhaltung öffentlichen Raums. Ein Überblick über die derzeit in Wien aktiven Bürgerinitiativen.

Wien. Von wegen Politikverdrossenheit. Immer mehr Bürger engagieren sich. Allerdings weniger für globale Anliegen wie die Anti-Atomkraftbewegung, sondern vor allem für (oder gegen) Projekte vor der eigenen Haustüre. Experten erklären dieses Phänomen mit zwei Faktoren: Erstens ist die persönliche Betroffenheit größer, wenn etwas im unmittelbaren Umfeld verändert wird. Zweitens besteht hier die Möglichkeit, direkt etwas zu verändern, womit die Folgen – und Erfolge – des Engagements sofort sichtbar werden. „Die Presse“ bringt einen Überblick über die größten Konfliktfelder.


• Widerstandscamp Augarten. Derzeit werden im Innenraum die Estriche gelegt, parallel dazu läuft der Einbau der Bühnentechnik. Die Decke ist bereits eingezogen, Mitte Dezember soll eröffnet werden. Dann ist auch der neue Vorplatz fertig. Die Sängerknaben freuen sich schon auf ihre neue Konzerthalle am Augartenspitz. Wenige Meter von der Baustelle entfernt steht hingegen ein Widerstandscamp. Raja Schwahn-Reichmann von der Bürgerinitiative gegen die Konzerthalle, die mit dem Widerstandscamp sympathisiert, kündigt an: Der Widerstand wird nicht aufgegeben – trotz der kommenden Eröffnung: „Wir werden nicht vergessen darauf hinzuweisen, auf dieses Monument des Versagens der Planung und Verwaltung.“ So sind bereits Verteilaktionen mit Broschüren geplant, wenn ab Mitte Dezember Besucher die Konzerthalle betreten werden. Denn diese Konzerthalle, die im grünen Augarten errichtet wird, sei eine unverschämte Privatisierung von öffentlichem Grund – auf Kosten der Allgemeinheit, so Schwahn-Reichmann: „Daran ändert sich nichts, auch wenn wir vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“ Auch Protestfeste und Demonstrationen werden weiter veranstaltet.

Ein Grund, warum die Protestbewegung weitermacht: Es gebe weitere Begehrlichkeiten, die dem Augarten schaden würden, so Schwahn-Reichmann. Für ein Restaurant seien 100 Parkplätze genehmigt worden, trotz Einfahrtverbots komme eine Busrampe für die Sängerknaben, und schließlich gebe es immer wieder Pläne, ein Datencenter in einem Augarten-Flakturm zu errichten. Dagegen wird der Protest weitergehen, kündigt Schwahn-Reichmann an: „Wir sehen uns als Occupy-Bewegung.“ Einen (kleinen) Erfolg hat die streitbare Kämpferin für den Augarten immerhin erreicht: Das historische Pförtnerhäuschen beim Augartenspitz durfte nicht abgerissen werden, sondern bleibt erhalten.


• Ziesel nagen an Wohnprojekt. Sie sind klein, niedlich und haben ihre eigene Bürgerinitiative und ein Musical – die Ziesel vom Marchfeldkanal. Seit die Stadt erklärt hat, in dem Gebiet beim Heeresspital in Stammersdorf 800 bis 950 Wohnungen zu bauen, läuft der Konflikt – vor allem, weil auf den Baugrundstücken eine Population der streng geschützten Ziesel entdeckt wurde.

Die IGL-Marchfeldkanal kämpft für die Ziesel und hat Anfang Juni ihre größte Protestaktion („Zieselwache“) im 21. Bezirk gestartet. Damit will die Bürgerinitiative öffentlich darauf aufmerksam machen, dass die Ziesel durch den Wohnungsbau bedroht sind – und auch mit einem eigenen Zieselmusical. „Der Lebensraum der Ziesel wird zerstört“, erklärt Michaela Mitterholzer-Sluka, die für den Erhalt des Lebensraums der Nager kämpft. Einen Teilerfolg hat die Bürgerinitiative bereits erreicht. Der geplante Wohnbau ist auf Eis gelegt, hinzu kommen strengere Auflagen. Derzeit läuft im Auftrag der Bauträger eine Untersuchung, ob und wie die Tiere auf ein benachbartes Areal umgesiedelt werden könnten. Die Hoffnung im Wohnbauressort: „Wenn der neue Lebensraum deutlich attraktiver gemacht wird als der alte, werden die Ziesel freiwillig gehen.“


Umstrittenes Islam-Zentrum. Die Pläne von Atib (ein türkisch-muslimischer Dachverband), den Standort in der Dammstraße (Brigittenau) zu einem islamischen Veranstaltungszentrum mit Kindergarten etc. auszubauen, sorgen seit 2007 für Diskussionen. Seit damals kämpft eine Bürgerinitiative gegen das Projekt. Sie befürchtet durch den Ausbau Lärm und deutlich mehr Verkehr. Das ist aber nur ein Teil der Motivation: „Wir wollen eine weitere Islamisierung unserer Heimat verhindern“, hat die Bürgerinitiative, die von der FPÖ unterstützt wird, mehrfach erklärt. Das Motto der Heimatbewegung ist dabei an freiheitliche Slogans angelehnt: Moschee ade. Auch hat sich die BI Dammstraße mit weiteren anti-islamischen Initiativen (Rappgasse, Trostraße) zusammengeschlossen.

Derzeit steht das Projekt Dammstraße indes ohne Zutun der Gegner. Atib besitzt eine gültige Baugenehmigung zur Aufstockung des Gebäudes und das Verfahren ist abgeschlossen, wie Atib-Anwalt Clemens Lintschinger erklärt. „Aber es gibt keinen Zeitplan, denn die Finanzierung ist noch im Laufen.“ Derzeit ist also ein Baubeginn wegen Geldmangels nicht in Sicht. Dass das Projekt deshalb fallen werde, dementiert Lintschinger: „Wir haben so sehr dafür gekämpft, haben teure Zugeständnisse für den Bau gemacht – früher oder später wird das Zentrum gebaut.“


• Schüler gegen Tiefgarage. Seitdem bekannt wurde, dass unter dem Schulhof in der Geblergasse eine Tiefgarage errichtet werden soll, läuft der Protest – der Schüler. Sie befürchten massive Einbußen bei der Lebensqualität in der Schule durch die Bauarbeiten und den Verkehr, den die Tiefgarage anzieht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Anrainer in einer Bürgerbefragung mehrheitlich für das Projekt ausgesprochen haben. Nun gab es einen kleinen Erfolg für die Initiative. Die Ausschreibung wurde gestoppt, das Projekt wird zumindest heuer nicht gestartet. Auslöser war ein Einspruch eines Anrainers. Prominente Unterstützung erhalten die Schüler von Roland Düringer und Andi Baum. Erst gestern, Montag, erhielt Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl den „Goldenen Auspuff“ von der Initiative.


• Kampf um Steinhofgründe. Es ist ein mehrere tausend Quadratmeter großes Areal, um das hier gestritten wird. Auf der einen Seite steht die Stadt Wien, die im Ostteil des Otto-Wagner-Spitalsgeländes Wohnungen (Gesiba) sowie ein stationäres Rehabilitationszentrum (Vamed) geplant hat. Auf der anderen Seite steht die Bürgerinitiative „Steinhof erhalten“, die vor allem gegen das Wohnungsprojekt mobil macht – mit lautstarker Unterstützung durch die „Kronen Zeitung“. Das Reha-Zentrum wird bereits gebaut, für das Wohnungsprojekt verhängte Bürgermeister Michael Häupl im Oktober einen Planungsstopp. Seitdem wird gerätselt, ob und falls ja was dort entstehen soll.

Um den emotional aufgeladenen Konflikt zu entschärfen und der viel zitierten Bürgerbeteiligung gerecht zu werden, hat die Stadt Wien zwei Mediatoren engagiert. Derzeit ist man aber erst dabei, einen Mediationsvertrag, der Umfang und Ziele der Mediation festhält, zu erarbeiten. Gerhard Hadinger von der Bürgerinitiative ist allerdings skeptisch, dass dieser zustande kommt. Denn seit Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im Mai bekannt gab, dass das ganze Otto-Wagner-Spital bis 2020 (und damit um zehn Jahr früher als geplant) abgesiedelt werde, hängt der Haussegen erneut schief. Hadinger ist enttäuscht, dass er das via Medien erfahren musste. „Wir sind schon so oft vor vollendete Tatsachen gestellt worden, zum Beispiel dass der KAV dort Gewinn lukrieren will und dass der östliche Teil kaum noch vom Bundesdenkmalamt geschützt wird. Außerdem hat Ewald Kirschner, Generaldirektor der Gesiba, gemeint, er wartet nur mehr bis August, dann will er bauen. Ich bin also pessimistisch.“


• Die widerspenstigen Siedler. Das Thema ist so kompliziert, dass selbst der, der sich am besten auskennt, alle davor warnt: In Wien machen sich einige Siedler gegen die Erhöhung des Baurechtzinses stark. Die Verträge zwischen den Genossenschaften und der Stadt Wien (zum Teil aus den 1920er-Jahren) laufen mit Ende des Jahres aus. Jetzt wird um den neuen Zins gestritten. Die Stadt Wien hat in einer ersten Forderung jährlich 8,38 Euro pro Quadratmeter gefordert. Franz Xaver Ludwig von der Freihof-Siedlung in Kagran sieht darin eine 70-fache Erhöhung des Zinses. Gleichzeitig beruft er sich auf ein Schreiben, wonach Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (die beiden sind nicht miteinander verwandt) eine nur vierfache Erhöhung zugesagt habe. Der Baurechtzins liegt derzeit bei rund 0,09 Euro pro Monat und Grundstück.

Zuletzt haben die vier betroffenen Genossenschaften Verträge mit einem niedrigeren Bauzins von etwa 2,80 Euro pro Quadratmeter Grundfläche angeboten. Ein neuer Affront, wie Franz Xaver Ludwig findet. Steht doch etwa im Schreiben der Genossenschaft „Süd-Ost“: „Wir bitten Sie daher, beigefügte Zustimmungserklärung, unterschrieben, (...) an die Genossenschaft zu übermitteln. Nicht abgegebene Erklärungen gelten als Zustimmung.“

Außerdem wären die Erben von der Sonderregelung ausgeschlossen und dadurch von einer 210-fachen Erhöhung betroffen. „Der Vertrag hält vor Gericht nicht stand“, sagt Ludwig. Viele hätten aber „aus Angst schon unterschrieben“. Erst vergangenen Samstag haben die erbosten Siedler erneut protestiert.

Auf einen Blick

Immer mehr Bürger steigen in Wien (und auch Österreich) auf die Barrikaden und kämpfen für oder gegen Projekte in ihrem direkten Lebensumfeld. Diesem Trend widmet sich heute, Dienstag, auch die „Aktion 21“, also der größte Dachverband der Wiener Bürgerinitiativen, der sich in der Zwischenzeit auch österreichweit vernetzt hat. In Form einer großen Pressekonferenz will die „Aktion 21“ Stimmung für mehr Mitbestimmung, mehr Bürgerrechte und mehr direkte Demokratie in Österreich machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2012)

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