Zeig mir dein Heck, Aurelia

Als Hintennach-Fahrender erfreut man sich an der unschuldigsten Spielart des Voyeurismus.

Sobald du dich an dir selbst sattgesehen hast (die Clint-Eastwood-Gesichter in den Lederhauben, aber hallo!) und den Genuss deiner schlichten Armaturentafel gespeichert hast (mit welchem Schrott langweilt man uns heute!), taucht irgendwann der Vordermann/die Vorderfrau/das Vorderauto im Blickfeld auf. Diese Perspektive lässt dich sogar ein paar Stunden im Regen hocken.

Tatsache: Jedes der klassischen Autos sieht von hinten unvergleichlich hübscher, geschmackvoller, konturierter, ziselierter aus als eine Schüssel unserer Tage, der Vergleich macht dich sicher.

Unsere Startnummer warf uns in den 1957er-Jahrgang. Jochen Mass braucht nicht lang, um zum 30 Sekunden zuvor gestarteten Fahrzeug aufzuschließen. Wir registrierten den glatten Hintern eines Porsche 356, in feiner Zeitlosigkeit.

Dann rücken wir einem BMW 507 nahe. Als Erstes kommt Neid hoch, purer Neid. Wir wissen leider, was der Hintern vor uns wert ist: 1,2 Millionen, in echtem Geld. Da tröstet auch nicht, dass ich mit dem Designer, dem Grafen Goertz, befreundet war, und einen 507 noch um 150.000 hätte haben können, oder 200.000, um ehrlich zu sein, aber jetzt: 1,2 Mio. Da hilft nur mönchische Abgehobenheit – was soll mir Geld?

Als Hintennach-Fahrender muss man besonders die Kurven (der Straße) beachten, dort ergibt sich der Blick auf die Flanken des 507. Einfach in der Linie, große Radausschnitte, spannende Frontpartie.

Tiefe Verneigung vor dem Grafen Goertz, er war ein unglaublich lässiger und witziger Zeitgenosse. Unsereins heute, hintennach, in gebührender Distanz zum 507er-Heck, bringt natürlich das Drama des Wertgewinns nicht aus dem Kopf, aber so ist es eben, und das Auto ist wirklich schön, und die Zahl von insgesamt 254 Exemplaren, alles in allem, hat den Preis ins Nirwana getrieben.

Just in den Tagen des intensiven Nichtrauchens sollte man vielleicht noch die Podesthaftigkeit des 507-Aschenbechers erwähnen. Hier kapiert man, wie die Altvorderen das Rauchen zelebriert haben. Der Aschenbecher war nicht irgendwo versteckt, sondern thronte als Chromobjekt auf einem in Wagenfarbe lackierten Podest. Wir müssen jetzt nicht die technischen Umstände erörtern, warum die Getriebeglocke des 507 so zierlich sein konnte, jedenfalls wuchs das Aschenbecherpodest an ergonomisch vorrangiger Stelle aus dem Wagenboden. Würdevolles Rauchen war unheimlich angesagt in den Vierziger- und Fünfzigerjahren, auch zu diesem Thema gibt es gute Filme, Bogart verraucht 28 Tschick in „To Have and Have Not“, von Hoagy Carmichael und der Bacall gar nicht zu reden. – Okay, wir schweifen ab.

Jochen Mass fährt ziemlich flott, und so kassieren wir einen fantastischen AC Corba, bevor wir auf die offenste und geilste Version einer Lancia Aurelia auflaufen (B 24 S). Der Film lief ja erst wieder am Dienstag im Fernsehen (Brigitte Bardot in „...und ewig lockt das Weib“, allein dieser allen Mittelschülern so einleuchtende Titel, knackige Übersetzung des frömmlerischen „Et Dieu créa la femme“; wer könnte dieses Auto je vergessen, und überhaupt, wie wir Jean-Louis Trintignant beneidet haben, in ausgewählten Szenen, und wie wir das Aufdröseln des Babydoll-Hemderls auf der Festplatte gespeichert haben, das vergisst man ja sein Lebtag nicht).

Man könnte also sagen, dass über eine Aurelia B 24 A Cabrio überhaupt nix drübergeht in der Geschichte des Films, des Automobils und überhaupt (vor allem in der zartblauen Farbe, die einen wahnsinnig macht, Aurelia-mäßig) – aber da wäre noch dieser unglaubliche Ferrari 250 GT, diesmal zehn Minuten vor uns, aber wahre Liebe setzt sich immer durch. Da ist er, voll beladen mit der fantastischen Geschichte des Marquis de Portago, mit dem Knick in den Flanken, einmalig auf der Welt mit der dreigeteilten Heckscheibe und dem zentralen silbernen Tankdeckel.

So viel Schönheit ist kaum auszuhalten, mit all den wahren Geschichten rundherum, darum lieben wir diese Art von klassischen Rallyes, weil sie unserer faden Vergesslichkeit immer wieder auf die Sprünge hilft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Bilanz eines Jubiläums

Ein Wettergeschenk für die 20. Ausgabe der Ennstal.
Motor

Die Mühsal der alten Zeiten

Zeitreise (3). Nach dem Krieg wurden etliche Modelle von früher weitergebaut, weil es keine Alternative gab. Die echten Vorkriegsautos indes hatten ihre eigene Kultur der Rituale und Leiden. von Herbert Völker
Motor

Galanterie am zartgliedrigen Volant

Zeitreise (2). Alte Autos finden alle super. Aber würden wir wirklich gegen unsere Heutigen tauschen wollen?
Motor

Rar, aber doch: Frauenteams in sechs von 230 Vintage Cars

Damenteams. Frauen sind bei der Ennstal Classic vorrangig als Beifahrerinnen dabei, in den meisten Fällen gar als navigierende Ehefrauen der Fahrer. Einige wenige Damen haben sich aber für reine Frauenpower im Cockpit entschieden – und stoßen dabei auf wenig Vorbehalte.
Motor

„Helm auf und los“: Begegnung mit einem Großen

Helden der Ennstal. Rallye-Legende Walter Röhrl hat vor 20 Jahren die erste Ennstal Classic gewonnen, das verbindet einfach.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.