Die rot-grüne Entfremdung

Mehr als eineinhalb Jahre nach Regierungsantritt ist die Distanz zwischen der rot-grünen Koalition und Wiens Bürgern groß wie nie. Auch intern läuft es nicht mehr so gut wie früher. Die Parkpickerl-Debatte trägt die Schuld daran.

Es war geplant als etwas Großes. Als Signal an Österreich, als Masterplan für eine rot-grüne Bundesregierung, über die in diesen Tagen zahlreiche ranghohe SPÖ-Vertreter bundesweit gerne philosophieren. Doch der Honeymoon in der ersten rot-grünen Landesregierung in Österreich ist vorbei. Seit ihrem Amtsantritt vor mehr als eineinhalb Jahren hat sich die rot-grüne Rathauskoalition entfremdet – von den Bürgern, von den politischen Freunden in den Landesparteien der Bundesländer. Und auch intern hat man sich voneinander entfernt. Kein Projekt zeigt das deutlicher als die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf mehrere Bezirke jenseits des Gürtels – nachdem Rot-Grün beschlossen hat, die Ausweitung trotz 170.000 Unterschriften gegen diesen Plan durchzuziehen. Und als Draufgabe eine demokratiepolitisch mehr als fragwürdige Maßnahme zu setzen: Die geforderte Volksbefragung über eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung wird durchgeführt. Allerdings erst nach deren Einführung, und dann werden auch nur allgemeine Verkehrsthemen abgefragt – an der „Pickerl“-Ausweitung wird von Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou, die ironischerweise auch Stadträtin für Bürgerbeteiligung ist, nicht gerüttelt. Trotz des größten Bürgeraufstands in Wien seit Jahren.

Ein Blick zurück. Angefangen hatte Rot-Grün mit großen Erwartungen. Die Grünen werden die Vorgänge im Rathaus transparenter machen, die Bürger werden in die politischen Entscheidungsprozesse deutlich mehr eingebunden als unter der bisherigen roten Mehrheit – immerhin haben die Grünen ihre Wurzeln in der österreichischen Bürger-Protestbewegung.

Die ersten Entscheidungen wiesen noch in diese Richtung. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou führte als Symbol „Stadträtin für Bürgerbeteiligung“ als Titel, die Mindestsicherung für Kinder wurde erhöht, die Jahreskarte für die Wiener Linien wurde auf 365 Euro verbilligt – um den öffentlichen Verkehr zu fördern, und einen (kleinen) Schritt gegen die Verkehrsprobleme in Wien zu setzen.


Klientelpolitik. Doch kurz darauf vollzogen die Grünen einen Schwenk. Es war nichts mehr zu sehen von einer Stadtregierung für alle Wiener, wie zu Regierungsbeginn mehrfach betont wurde. Die Grünen begannen fast ausschließlich Klientelpolitik zu betreiben. Plötzlich wurde nicht mehr über große Würfe für Wien diskutiert, sondern über die Umgestaltung von Straßen, in denen Radfahrer Vorrang haben. Der Posten eines Radfahrbeauftragten wurde geschaffen – das grüne Urgestein Alexander Van der Bellen in den (für ihn neu geschaffenen) Posten des Wiener Universitätsbeauftragten gehoben. Nun wird auch der Posten eines Fußgängerbeauftragten geschaffen. Im Bereich der Stadtplanung (Vassilakou ist auch Planungsstadträtin) herrscht Stillstand. Visionen sind hier keine in Sicht.

Bürgermeister Michael Häupl lässt die Grünen gewähren. Immerhin kann die SPÖ in den wichtigsten Bereichen schalten und walten, wie sie will – wie in den Zeiten der SP-Alleinregierung.

Die erste große Entfremdung vom Bürger kam mit der gewaltigen Gebührenlawine, die unter Rot-Grün über die Stadt rollte. Die Gebühren für Wasser, Müll, Abwasser und Kanal wurden bis zu 33 Prozent erhöht. Argumentiert wurde das damit, dass sie schon lange nicht erhöht worden seien. Und auch mit leeren Stadtkassen, wie einige Grüne offen zugaben. Auf die Idee, dass man auch sparen könnte (beispielsweise in der Verwaltung oder bei den Beamtenpensionen), kam Rot-Grün nicht. Mit den gestiegenen Betriebskosten wurden auch die Mieten teurer – während die Grünen offiziell für billigere Mieten kämpfen.

In der Folge setzten die Grünen ihre Klientel- und Gebührenerhöhungspolitik fort. Parken wurde um rund 67 Prozent teurer. Es war der erste Schritt, mit dem Vassilakou als Verkehrsstadträtin die Bürger massiv gegen sich aufbrachte. Die SPÖ trug die Maßnahme mit – in der Hoffnung, dass der Ärger nur bei den Grünen hängen bleibt.

Nun ist aber die SPÖ massiv betroffen. Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung betrifft stark auch SP-Klientel. Von roten Funktionären wird Ärger artikuliert, dass Vassilakou die Ausweitung dilettantisch vorbereitet habe. Vor allem rote Flächenbezirke fürchten eine deutliche Abwanderung von Wählern in Richtung FPÖ, die durch Vassilakous Agieren massiv verärgert wurden.

Nun tauchen sogar Gerüchte über einen fliegenden Koalitionswechsel zur ÖVP auf. Auch wenn diese Gerüchte keine wirkliche Substanz besitzen, zeigen sie eines: Nicht wenige Teile der SPÖ beginnen sich deutlich von den Grünen zu distanzieren. Immerhin standen diese Gerüchte in Häupls Leibblatt – der „Krone“. Nebenbei: Auch der rot-grüne Streit um die dritte Landepiste für den Flughafen Wien-Schwechat zeigt, dass es in der Wiener Koalition nicht so rund läuft, wie Häupl und Vassilakou immer betonen.

Vom Bürger entfernt hat sich Rot-Grün auch dadurch, dass Vassilakou anfangs ankündigte, das Parkpickerl auf alle Bezirke jenseits des Gürtels auszuweiten. Erst nachdem die SPÖ die Notbremse zog, daran erinnerte, dass laut Koalitionsabkommen die Bezirke zustimmen müssen, gab Vassilakou widerwillig nach. Und prompt erlitt sie bei der Bürgerbefragung im VP-regierten Währing eine Niederlage – das Parkpickerl wird dort nicht eingeführt.


Juristischer Standpunkt. Die Entfremdung von der Bevölkerung – und von befreundeten Landesparteien, gipfelt aber nun in der Ankündigung: Zuerst wird die Parkraumbewirtschaftung eingeführt, später folgt eine Volksbefragung, bei der ein neues Parkpickerlmodell vorgelegt wird. Über die Ausweitung davor wird trotz 170.000 Unterschriften nicht abgestimmt. Vassilakou zieht sich dabei nicht auf sachliche, sondern juristische Standpunkte zurück: Gebühren dürfen laut Gutachten der Stadt nicht abgefragt werden. Als Häupl 2010 die Citymaut abgefragt hatte, gab es da keine Bedenken.

Während in Österreich eine heftige Diskussion über direkte Demokratie läuft, sorgt die Vorgangsweise in Wien bei Rot und Grün auch für innerparteilichen Ärger. Salzburgs SP-Bürgermeister Heinz Schaden sprach wörtlich von einer „Pflanzerei“ der Bürger in Wien. Madeleine Petrovic, Klubobfrau der Grünen im niederösterreichischen Landtag, schoss sich auf ihre Parteikollegin Vassilakou ein. Sie forderte im Gegenzug ein Parkpickerlmodell für parkende Wiener in Niederösterreich. Auch Niederösterreichs SPÖ-Landesgeschäftsführer Günter Steindl kritisierte Rot-Grün in Wien. Was bleibt? Die Entfremdung von Rot-Grün hat eingesetzt – der Honeymoon ist vorbei.

Das Parkpickerl

Oktober 2010.
Die rot-grüne Koalition schreibt in ihrem Regierungsübereinkommen die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf die Bezirke jenseits des Gürtels fest.

März 2012
Der 18. Bezirk lehnt nach einer Volksbefragung das Parkpickerl ab.

Oktober 2012
Die Parkraumbewirtschaftung soll im gesamten 15. Bezirk sowie Teilen der Bezirke 12, 14, 16 und 17 eingeführt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2012)

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