Einmal Liberalisierung und zurück

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Wenige Monate nach Wladimir Putins Rückkehr in den Kreml nimmt sich das Interregnum Medwedjews nachgerade als Tauwetterperiode aus. Putin fährt im Rückwärtsgang und will so die Elite wieder konsolidieren.

Moskau. Irgendwann werden Historiker die wahre Bedeutung Dmitrij Medwedjews herausarbeiten. Möglich, dass der nunmehrige Ex-Präsident und Premier auf eine Statthalterepisode zwischen Wladimir Putins akkumulierten Amtszeiten beschränkt bleibt. Nicht ausgeschlossen freilich, dass man in seinem als Liberalisierung deklarierten Kurs zumindest ein temporäres Tauwetter erkennt. Eine Ahnung davon gibt die Protestwelle, die ohne Medwedjew so wohl nicht gekommen wäre. Gewiss, gekommen ist sie nicht durch ihn allein, und er hatte sie wohl auch nicht beabsichtigt gehabt. Aber er hat mit seinen relativ liberaleren Gehversuchen eine Hoffnung in manchen Bevölkerungsschichten geweckt, die dann mit voller Wucht enttäuscht worden ist, als Putin und Medwedjew im September 2011 bekannt gaben, dass Putin in den Kreml zurückkehrt.

Dass die Abmachung ihren Worten zufolge schon lange ausgedealt war, muss nicht unbedingt stimmen. Gut möglich, dass die Hardliner, zwischen denen und Medwedjews Liberaleren Putin die längste Zeit als Schiedsrichter die Balance gehalten hatte, die Reißleine gezogen und Putin zur Rückkehr gedrängt haben. Medwedjews Kurs nämlich hatte Teile des Establishments destabilisiert, sodass er das – scheinbar monolithische – Elitekartell zu sprengen drohte, wie der Russlandexperte Gerhard Mangott in der „Europäischen Rundschau“ schreibt.

Medwedjew hat in seiner Amtszeit 2008-2012 nichts Revolutionäres vollzogen. Aber so wie Putin ein Präsident der Hoffnung auf Stabilität ist, so war Medwedjew die Hoffnung auf Liberalismus, der letztlich scheinbar blieb. Medwedjew hatte vom Primat der Freiheit vor der Unfreiheit gesprochen und in seinem Brief „Russland, voran!“ eine goldrichtige Diagnose über den rückständigen Status quo in Gesellschaft und Wirtschaft gestellt sowie zutreffend die Schicht von Bremsern angeprangert, die Veränderungen deshalb fürchten würden, weil sie sich selber nicht mehr anpassen könnten. Fundamentalere Zugeständnisse – wie die Wiedereinführung direkter Gouverneurswahlen – hat Medwedjew erst ab den Parlamentswahlen im Dezember 2011 angestrebt.

Schluss mit lustig

Nun, nachdem Putin im Mai wieder im Kreml Platz genommen hat, ist Schluss mit lustig. Vorbei mit launigen Experimenten, die am Ende noch auf eine Destabilisierung hinauslaufen könnten, von der niemand einen Begriff hat, wie sie denn ausschauen könnte und ob sie denn überhaupt besser sei als das erprobte autoritäre Stabilitätsmuster.

Eine Ahnung von Medwedjews Tauwetter-Impetus liefert das Programm der Gegenreformation, das Putin binnen Wochen vollzogen hat und dessen vorläufiger Höhepunkt der Prozess gegen die Mädchen-Punkband Pussy Riot ist. Die Rückabwicklung einer vorherigen Entwicklung ist ein Mosaik aus vielen Steinen: Vertreter der Protestmärsche werden gejagt, das Demonstrationsgesetz wurde bis zur Absurdität verschärft, das Gesetz für ausländische NGOs ebenso; mit den neuen Strafgesetzen gegen Verleumdung und Pornografie wurden neue Hebel gegen unliebsame Medien vorbereitet. Und schon wird im russischen Informationsraum, in dem Medwedjew wie ein Schuljunge vorgeführt wird, immer offensichtlicher an seiner Demontage gearbeitet. Putin macht auf unerbittlich, obwohl er selbst noch vor wenigen Monaten auf Dialog einzuschwenken schien.

Es ist gar nicht so sehr der einst von einer utopischen Zukunftsvision verblendete „Homo Sovieticus“, der zu Beginn von Putins dritter Amtszeit wiederkommt. Vielmehr obsiegt ein vom Protestschrecken erfasster „Homo Retrospectivus“, der die vergangene Stabilität zu restaurieren versucht und als Etatist, Dirigist und geopolitischer Hardliner daherkommt.

Das birgt ein Dilemma, meint der Moskauer Politologe Kirill Rogov: Weil das Regime keinen akzeptablen Zukunftsentwurf für die Mehrheit vorlegen könne, müsse es sich auf ländliche Wählerschichten stützen, was aber die Popularität von Oppositionsthemen erhöhe. Kennzeichen des jetzigen Regimes sei, dass es nicht agiere, sondern reagiere. Das Risiko aber sei, dass es zur Disziplinierung der Elite auf Verschärfung setze, obwohl Putins Wähler nur für die Beibehaltung des Status quo gestimmt hätten.

Abwärtsspirale in Gang gesetzt

So setzt Putin eine Abwärtsspirale in Gang, indem er beginnt, nicht nur an den Forderungen seiner Gegner, sondern selbst am Stabilitätswunsch seiner Anhänger vorbeizusteuern. Gewiss, er hat recht im Befund, dass Medwedjews Spiel mit der Freiheit die Leute zu entsprechenden Aktionen beflügelt hat. Aber er überschätzt Medwedjew und glaubt offensichtlich nicht daran, dass der Wunsch der russischen Bürger nach politischer Partizipation und mehr Freiheit eigenständig erdacht und formuliert werden könnte. Gemäß dieser Weltsicht muss hinter einem derartigen Wunsch wohl zwangsläufig ein Agent Provocateur stecken.

Auf einen Blick

Wladimir Putin hat seit seiner Rückkehr in den Kreml im Mai eine Aktion scharf gegen seine Kritiker in Gang gesetzt, dessen vorläufiger Höhepunkt der Prozess gegen Pussy Riot ist. Außerdem wurde das Demonstrationsgesetz bis zur Absurdität verschärft, das Gesetz für ausländische Nichtregierungsorganisationen ebenso. Mit den neuen Strafgesetzen gegen Verleumdung und Pornografie wurden neue Hebel gegen unliebsame Medien vorbereitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2012)

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