Über die Feigheit der Politiker, die Wahrheit offen zu sagen

Hinter den Kostenexplosionen bei Großprojekten wie Skylink oder Wiener Hauptbahnhof stecken billige Versprechen der Politik und unseriöse Vergabeverfahren.

Ja, es ist ein Skandal. Wenn ein Großbauprojekt wie der Wiener Hauptbahnhof statt der ursprünglich geplanten 420 Millionen plötzlich eine Milliarde Euro kostet, dann ist das ein politischer Skandal. Genauso, wie der Terminal Skylink auf dem Wiener Flughafen, der letzten Endes das Doppelte gekostet hat, ein politischer Skandal ist. Und der nächste wird gerade mit Vollgas in Angriff genommen: Es handelt sich um den Umbau des Parlaments. Von 17Millionen ging man vor einigen Jahren aus, jetzt werden die Kosten auf 300 Millionen Euro taxiert. Und diese Rechnung stammt aus dem Jahr 2010. Da kommen bis zum Spatenstich allein infolge der Inflation unzählige Millionen dazu.

Es ist wie das Amen im Gebet. Anscheinend gerät hierzulande jeder öffentliche Auftrag zum finanziellen Desaster. Reflexartig ist sofort von Korruption, Fehlplanung und Mauschelei die Rede. Doch die Hauptursache für die Serie an Baukatastrophen in diesem Land ist viel banaler: Es ist die Feigheit der Politik vor der Wahrheit.

Denn es sind Politiker, die mit völlig unrealistischen Zahlen an die Öffentlichkeit gehen. Die 420 Millionen Euro für den Hauptbahnhof waren von Beginn an ohne jeglichen Bezug zur Realität. Da wurde etwa vergessen, die Umsatzsteuer dazuzurechnen, da wurde auf die Inflation vergessen. Vergessen? Selbst bei den ÖBB wäre genügend Sachverstand vorhanden, um realistische Zahlen auf den Tisch zu legen. Doch diese will keiner sehen. Schon gar nicht Politiker. Lieber hanteln sie sich von einer Wahrheit, sprich Kostensteigerung, zur nächsten und hoffen auf dem Weg dorthin, selbst umsteigen zu können. Etwa vom Verkehrsministerium ins Bundeskanzleramt. Hier werden Steuerzahler bewusst für dumm verkauft.


Rein PR-technisch ist das natürlich eine ziemlich dämliche Taktik. Statt gleich zu Beginn mit der Kostenwahrheit herauszurücken, lässt sich die Politik lieber schön scheibchenweise bei jeder neuen Preissteigerung von den Medien und der Opposition geißeln. Warum das niemand überzuckert? Wenn man von Anfang an sagen müsste, dass der Hauptbahnhof mehr als eine Milliarde kosten wird, käme man am Ende womöglich darauf, dass man sich das, was man will, gar nicht leisten kann.

Das ist keine österreichische Spezialität. Der Bau des Berliner Flughafens zeigt, dass uns die Deutschen um nichts nachstehen. Dass es auch anders gehen kann, bewies der Bau des neuen Flughafenterminals in Zürich. 134 Millionen Euro hat dieser umgerechnet gekostet. Als eine österreichische Delegation das Prunkstück bestaunte, kam natürlich sofort die Frage: „Wie hoch waren die Planungskosten?“ Entgeisterte Antwort: „So hoch wie die tatsächlichen.“

In Österreich münden die falschen politischen Versprechen direkt in unseriöse Vergabeverfahren. Baufirmen werden bei Ausschreibungen in einen gnadenlosen Preiswettbewerb getrieben. Ergebnis: Um die Aufträge an Land zu ziehen, legen die Konzerne scheinbar ruinöse Angebote. Nicht nur bei Bauaufträgen. Überall, wo die öffentliche Hand Aufträge vergibt. Im Gesundheitswesen versickern die Milliarden auf ganz ähnliche Weise.

Ab dem Zeitpunkt des Zuschlags sind die Unternehmen nur noch bedacht, die Lücken und Schwächen der Ausschreibung gnadenlos auszunutzen, um sich so den Gewinn abzuholen. Großkonzerne leben von ihrem „Claim-Management“, also vom geschickten Aufstöbern diverser Nachforderungen. Nur so ist zu erklären, warum sich öffentliche Aufträge während der Planungs- und Umsetzungsphase wie ein riesiger Germteig ausbreiten. Das Ergebnis hat oft mit dem ursprünglichen Auftrag nichts mehr gemeinsam. Siehe Skylink, siehe Hauptbahnhof. Ja, und siehe Parlament, bei dem von einem Baubeginn noch gar keine Rede ist.

Dass diese unglückselige Konstruktion aus billigen politischen Versprechen und unseriösen Kalkulationen ein Nährboden für Freunderlwirtschaft und Korruption ist, muss nicht extra erwähnt werden. Doch aller Übel Anfang ist schlicht und einfach die Feigheit der Politiker davor, die Wahrheit offen auszusprechen. Verloren geht am Ende wie immer deren Glaubwürdigkeit.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2012)

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